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Natureza humana

versão impressa ISSN 1517-2430

Nat. hum. vol.14 no.1 São Paulo  2012

 

Artigos

 

Heidegger, Ostasien und Technologie

 

Heidegger, the East and Technology

 

Heidegger, Oriente e Tecnologia

 

 

Edgar Lyra

Prof. Dr. da Universidade Católica do Rio de Janeiro
e-mail: lyranetto@gmail.com

 

 


Zusammenfassung

 

Heidegger hat sich in seinem späten Werk mit der planetarischen Hegemonie der modernen Technik beschäftigt, die immer einschneidender an der Definition unserer Gewohnheiten, Sprache und an den Horizonten der Erwartungen teilnimmt. Neben der Wiederaufnahme der metaphysischen Wege, die die Welt verwestlicht haben, und neben des In Frage Stellens der Essenz der derzeitigen Herrschaft, hat sich Heidegger einigen Nischen der Andersartigkeit zugewendet, die in der Lage sind, den Boden der technischen Objektivierung zum Beispiel für den Dialog mit einer bestimmten östlichen Andersartigkeit zu nähren. Genau in dieser Schwierigkeit sah er ein Versprechen. Eine grundlegende Frage: wenn sich, geopolitisch gesehen, der östliche Teil an sich letztendlich verwestlicht hat, wie könnte uns dann die von Heidegger in Frage gestellte östliche Andersartigkeit inmitten des technologischen Imperiums und mit der ihr eigenen Geschwindigkeit und Bestimungen die wahre Kraft der Verwandlung bieten?

Schlüsselwörter: Heidegger, Ostasien, Technik, Gefahr, Sprache, Geschichte.


Abstract

In his later work, Heidegger discussed the global hegemony of modern technology, which has become increasingly incisive in the definition of our habits, language and horizons of expectation. In addition to revisit the metaphysical paths that westernized the world and to question the essence of the current domination, Heidegger also turned to some niches of alterity capable of irrigating the soil of technical reification, e.g., for the dialogue with some oriental alterity. It was precisely in the difficulty of this dialogue that he saw a promise. Bottom line: if the East itself, geopolitically speaking, eventually became westernized, how, amid the empire of technology, with its speed and peculiar framework, the eastern alterity interrogated by Heidegger could possibly offer us genuine sap of transformation?

Keywords: Heidegger, East Asia, technology, danger, language, history.


Resumo

Heidegger ocupou-se, em sua obra tardia, com a hegemonia planetária da técnica moderna, cada vez mais incisiva na definição dos nossos hábitos, linguagem e horizontes de expectativa. Além de repisar os caminhos metafísicos que ocidentalizaram o mundo, e de questionar a essência da atual dominação, voltou-se para alguns nichos de alteridade, capazes de irrigar o solo da objetificação técnica, por exemplo, para o diálogo com certa alteridade oriental. Precisamente na dificuldade desse diálogo ele enxergava uma promessa. Questão de fundo: se o próprio Oriente, geopoliticamente falando, acabou se ocidentalizando, de que modo, em meio ao império da tecnologia, com sua velocidade e enquadramento peculiares, a alteridade oriental interrogada por Heidegger poderia nos oferecer genuína seiva de transformação?

Palavras-chave: Heidegger, Oriente, técnica, perigo, língua, história.


 

 

1. Heidegger suchte im Gespräch mit Ostasien keine Überwindung westlicher Sackgasse

Ziel des vorliegendes Textes ist es, das Interesse am ostasiatischen Denken in Heideggers Werk zu verankern, genauer gesagt den Grund zu erörtern, warum er innerhalb seiner zentralen Frage nach dem Sein dieses spezielle Interesse hegt. Dabei geht es nicht um zum Selbstzweck gedachte, historische oder chronologische Fragen; auch sind keine ausführlichen Vergleiche zwischen Heideggers Denken, dem Taoismus, dem Zen-Buddhismus oder dem Mahayana-Buddhismus gemeint. Deutlich soll werden, dass im ostasiatischen Denken in keinster Weise ein alternatives, in gewissem Sinn höheres Modell gesehen wird, das dem Westen beibringt, wie es seine geschichtlichen Abwege korrigieren und besser mit seinen derzeitigen Sackgassen umgehen kann – sind die heutigen Sackgassen nicht sowieso planetarischer oder anderer mysteriöser Herkunft.

Heideggers Stellungnahme dazu war sehr klar. In dem Text Aus einem Gespräch von der Sprache zwischen einem Fragenden und einem Japaner, das im Sammelband Unterwegs zur Sprache veröffentlicht wurde, behauptete er, dass: "Unserem heutigen Denken ist es aufgegebene, das griechisch Gedachte noch griechischer zu denken." (1975, S.134). Während ihm zur gleichen Zeit eine Aussage über eine mögliche Überwindung der zeitgenössischen Dilemmas vorgeworfen wurde, behauptete er 1966 der Zeitschrift Der Spiegel gegenüber, "dass nur von demselben Weltort aus, am dem die moderne technische Welt entstanden ist, auch eine Umkehre sich vorbereiten kann". Etwas ausführlicher hieß es weiter, dass die Veränderung "nicht durch Übernahme von Zen-Buddhismus oder anderen östlichen Welterfahrungen geschehen kann. Es bedarf zum Umdenken der Hilfe der europäischen Überlieferung und ihrer Neuaneignung. Denken wird nur durch Denken verwandelt, das dieselbe Herkunft und Bestimmung hat." (in Figal, 2007, S.367).1 Die Auffassung, er wolle aus einer spirituellen ostasiatischen Tradition "Lösungen" für die Sackgasse des westlichen Denkens schöpfen, wird je nach Einschätzung in Heideggers Schriften in kleinster Weise unterstrichen.

Unübersehbar ist, wie sehr dieser Denker im Laufe der Jahre den Weg des In-Fragen einschlug, wobei ihn immer dann eine gewisse Ironie (oder Rätselhaftigkeit) überkam, wenn er sich dem Druck gegenüberstehen sah, sich für bestimmte Richtungen entscheiden zu müssen. Den Verlegern Augstein und Wolf der Zeitschrift Spiegel entgegnete er im oben zitierten Interview "Nur noch ein Gott kann uns retten",– Zitat, das später zum Titel des Interviews wurde. Die weit verbreitete Auffassung, er wolle das auf seinem metaphysischen Weg längst angekommene westliche Denken in eine Art an der großen deutschen Dichtung inspiriertes "dichtendes Denken" verwandeln, spiegelt sich nirgends wieder in seinem Werk. Heidegger hatte eine hohe Meinung von Hölderlin und stand nach 1934 mit diesem während seiner Arbeit in regem Austausch, wobei er einige seiner Ideen übernahm; trotzdem lieβ er zum Beispiel in seinem Aufsatz Was heißt Denken, der zwei seiner Vorlesungen in Freiburg 1951/1952 behandelt, keinen Zweifel daran, dass "das dichtende Gesagte und das denkende Gesagte sind niemals das Gleich"; aber sie sind zuweilen das Selbst, dann nämlich, wenn die Kluft zwischen Dichten und Denken rein und entschieden klafft." (Heidegger, 1954b, S.8,9). Nichts liegt einer einfachen Verwandlung von Denken in Dichtung ferner.

Die erstmals von Reinhard May 1989 klar vertretene Annahme, Heidegger sei in der Entwicklung seines eigenen Denkens vor allem vom Taoismus entscheidend beeinflusst worden, wird in diesem Artikel nicht voll geteilt (vgl. May, 1996). Man geht davon aus, dass er den Einfluss auf der Ebene des Denkens als ein Privileg derer dachte, die "dem zu-Denkende, dem Sein, anhängen." (Heidegger, 1954b, S.39), dann scheint es wahrscheinlich, dass ostasiatische Ideen in seinem Werk widergespiegelt und darin aufgenommen wurden, was allerdings nicht ausschließt, dass er parallel dazu auch von Nietzsche, dem bereits zitierten Hölderlin, von Meister Eckhardt und den Vorsokratikern wichtigen Einfluss erfuhr. Zudem sei auch sein eigenes Verständnis vom Tao entscheidend für diese Assimilation gewesen. Dazu schrieb der chinesische Denker Chang Chung-yuan: "Heidegger ist der einzige westliche Philosoph, der das taoistische Denken intuitiv anstatt nur rein intellektuell aufgenommen hat." (apud May, 1996, S.7, Übersetzung aus dem Englischen).2 Aus diesem Grund scheint es interessanter zu sein, das schwierige Eindringen des ostasiatischen Denkens in den westlichen Intellektualismus zu diskutieren, anstatt das Thema als Frage der Originalität oder fehlenden Originalität von Heidegger zu behandeln.

Beide Annahmen – die Orientalisierung und die Poetisierung des westlichen Denkens − haben das Versprechen gemeinsam, die planetarische Hegemonie der modernen Technik und ihr Profil zu überwinden, das rein utilitaristisch, entheiligt, invasiv, mechanisch und berechnend ist und der Meditation über alles, was dem "Fortschritt" minimalsten Sinn geben könnte, immer entfernter ist. Ungedacht bleibt andererseits, warum das ostasiatische Denken – und die groβe Dichtung – diesem Schicksal kein anderes Gesicht gaben, angesichts der Tatsachen, dass beide schüchtern inmitten des phantastischen Flusses der Technowissenschaft bestehen, die Vorsokratikern wieder gelesen werden und die griechische Tragödie am Überleben ist. China und Japan zeigen sich als gefräßige Energieverbraucher und florierende gadgets Produzenten immer besser in das planetarische Netz der Technologie integriert; bleibt zu prüfen bleibt, wie sie zu dieser Eingliederung gekommen sind.

Wie dem auch sei, es ist bekannt, dass das ostasiatische Denken, mit dem Heidegger seit 1922 aufgrund der Nähe zu japanischen und chinesischen Professoren in Deutschland in Kontakt stand, ihn dazu bewegte, 1946 mit der Hilfe des chinesischen Studenten Paul Shih-yi Hsiao einen Teil des Tao Te Ching (vgl. Zimmermann, 1993, S.250) zu übersetzen. Gestützt wird diese Arbeit von dem Versuch, das Interesse an Ostasien unter verschiedene andere Interessen einzuordnen, was Heideggers Werke auf 100 Bände kommen lässt.

 

2. Über das Gespräch mit Professor Tesuka: eine gröβere Gefahr bedroht fraglos Westen und Ostasien

Das bereits erwähnte Gespräch Aus einem Gespräch von der Sprache dient als Ausgangspunkt und Leitfaden für die folgenden Überlegungen. Dabei geht es genauer gesagt um einen einzigen Bezugspunkt auf Ostasien, der zugleich explizit und von extremer Relevanz in Heideggers Werk ist. Trotz der Diskussionen über den "erfundenen” Charakter und die Ungenauigkeiten dieses Gesprächs – sie basieren im allgemeinen auf dem Bericht, der 1975 von Gesprächspartner und Germanist Tesuka Tomio (vgl. May, 1996, S.61-65) veröffentlicht wurde - handelt es sich zweifellos um einen Text, der die Art und Weise illustriert, wie Heidegger das ostasiatische Denken, seine möglichen Richtungen und sein gegenseitiges Durchdringen mit dem westlichen Denken sah. Wir möchten uns deshalb nicht bei der Diskussion über Diskrepanzen beider Gesprächsversionen aufhalten, da sie uns mit Sicherheit auf andere Wege führen würden.

Deutlich ist, dass Tesuka in seinem Text gleich zu Beginn von Heidegger in Frage gestellt wird, und zwar hinsichtlich der Absichten des verstorbenen Grafen oder Barons Kuki - Schüler von Nishida in der Kyôto-Schule und sein eigener Schüler in Deutschland –, der in den Begriffen der westlichen Ästhetik Unterstützung für das Denken japanischer Kunst suchte. Professor Tesuka bezieht sich in seiner Antwort auf eine begriffliche Insuffizienz der japanischen Sprache, der "die begrenzende Kraft, Gegenstände in der eindeutigen Zuordnung zueinander als wechselweise über- und untergeordnet vorzustellen" (Heidegger, 1975, S.86-87). Jedoch meint er auch Gefahr im begrifflichen Reichtum der europäischen Sprachen zu ahnen, der das japanische Nachdenken über Kunst auf etwas "Unbestimmtes und Verflieβendes" herabsetzen könnte. Daraufhin macht Heidegger auf eine noch gröβere Gefahr aufmerksam, die beide [Westen und Ostasien] betrifft und "um so bedrohlicher [wird], je unauffälliger sie bleibt" (Heidegger, 1975, S.88).

"Das Schwierig liegt in der Sprache", so der Text Identität und Differenz, von 1957 (Heidegger, 1957, S.72). Heidegger bezieht sich hier nicht spezifisch auf die Schwierigkeit des Gesprächs zwischen dem Westen und Ostasien, sondern auf die Gefahr einer westlichen Sprache, die von der grundlegenden Aufgabe abkommt, sich als "Haus des Seins" zu begreifen, indem sie sich selbst nicht richtig versteht und immer instrumentalisierter wird. Aus dem Gespräch mit Professor Tesuka kann entnommen werden, dass sowohl Menschen aus dem Westen als auch aus Ostasien trotz ihrer sehr unterschiedlichen Beziehung zur Sprache dieselbe Gefahr laufen, woraufhin sein Gegenüber ihn auf seinen ehemaligen Professor Tanabe aufmerksam macht, der immer wieder auf die Frage zurückgriff, die Heidegger ihm gestellt hatte - "weshalb wir Japaner uns nicht auf die ehrwürdigen Anfänge unseres einigen Denkens besännen, statt immer gieriger dem jeweils Neuestens in der europäische Philosophie nachzurennen?" (Heidegger, 1975, S.131) Dem Professor Tesuka dieses Gesprächs zufolge wäre genau das bei einem Treffen mit Heidegger passiert. Daraus kann man entnehmen, dass auch Ostasiaten dem ihnen Bestimmten nicht gewachsen wären.

Wie wir wissen, bezieht sich die große Gefahr, von der Heidegger sprach, auf das Vergessen des Seins, das sich vor allem in der Ära der Technologie noch stärker vollzieht. Sein gesamtes Werk wendet sich zum Sein hin – auf den Sinn, die Wahrheit, die Geschichte, auf die Geschick oder Topologie des Seins, auf die Beziehung zwischen Mensch und Sein; und sehr oft werden archaische Formen des Deutschen wie Seyn mit y erwähnt, um einem versperrenden Verständnis des Wortes "sein" zu entkommen. Anspielungen auf das Selbst kommen hinzu, tó autó auf Griechisch, auf Ereignis, auf etwas, das jeder Beschreibung zuvorkommt und auf einen Ort, dem die Beherrschung der Sprachen in ihren vielfältigen Möglichkeiten entspringt.

Das Interesse Heideggers an Ostasien ist deshalb wie jedes andere mit der Aufgabe verbunden Wege zu finden, ein Sein aufzunehmen , das sich "über verschiedene Arten" beschreibt – so wie Aristoteles uns oft daran erinnerte – Wege, die alle mit dem offenen Fragestellen zu tun haben und die Verantwortung für die Verblüffung gegenüber der Tatsache übernehmen, dass die derzeitige technische und einschließlich planetarische Herrschaft den Bestimmungen dieses Seins gehört.

 

3. Das Vorhandensein der auf die Sorge um Ostasien bezogenen Texte in Heideggers Werk und die Kehre in seinem Denken

Die Aufgabe, Heideggers Interesse am ostasiatischen Denken in einen Kontext zu bringen und zu spezifizieren, setzt einiges voraus. Mitte der 30er Jahre weist sein ausführliches Werk eine Kehre im Denken auf, eine in dem berühmten Brief Über den Humanismus (1946), von ihm selbst benannte Kehre, in dem die Ausarbeitung einer fundamentalen Ontologie in Bezug auf Sein und Zeit in Verbindung mit der Einflusssphäre vom Vergessen des Seins gebracht wird.. Da sich das Interesse am ostasiatischen Denken nicht schon vor dieser Wende manifestiert, bietet sich hier ein kleiner Abstecher an, um diese Veränderung und die daraus hervorgehende Hinwendung genauer zu bestimmen.

Sein und Zeit ist der Bezug: Heidegger arbeitet hier mit dem Ziel, die auf dem geschichtlichen Weg der westlichen Philosophie obstruierte Frage nach dem Sinn des Seins wieder aufzunehmen. Er wendet sich vorläufig und methodologisch dem Dasein zu, dem Seiendem, welches die privilegierte Fähigkeit besitzt, die grundlegende Frage sowohl zu stellen als auch zu umgehen. In einer langsamen und kreisförmigen, phänomenologischen und hermeneutischen Annäherung definiert Heidegger Ausgangspunkte, zu denen er geduldig wieder zurückkehrt. Dasein gestaltet sich im Laufe der Zeit als ein Seiende, das schon seit jeher in einer Welt geworfen sind, Welt von verschiedenen anderen Seienden bewohnte – eine Welt, die nur in ihr Welt genannt wird. Folglich definiert sich das Dasein nicht nach der Mode der Naturalismen, als ein einfach nur gegenwärtiges Seiende in einer Welt, die frei vom Problem ihres Sinnes, ihrer artikulierten Erfahrung und ihrer gesprochenen Sprache ist. Ebenso ähnelt es auch nicht idealistisch einem Bewusstsein, das die Seienden in der Gesamtheit ihres Seins zu umfassen und verknüpfen weiß. Die Welt, in der sich das Dasein immer schon mit dem Ziel des Verstehens befindet, ist gleichzeitig eine Welt, die es transzendiert, die ihm vorhergeht, die sein Existieren sowohl ermöglicht als auch begrenzt, eine Welt mit einer Geschichte, eine Welt, in der menschliche und natürliche Gesetze herrschen, eine Welt, in der man eine Sprache teilt, die in der Lage ist, es auszusprechen. Das Dasein befindet sich, kurz gesagt, immer "zwischen zwei Welten", folgt der Terminologie von Sein und Zeit, die eine ontisch, die andere ontologisch, die eine faktisch, die andere existenziell, eine, in der es immer schon geworfen ist, die andere, die sich über ihre Entwürfe definiert.

Das Verständnis der Kehre, das uns u.a. zu Heideggers Interesse am ostasiatischen Denken führt, definiert sich ausgehend von der Ambivalenz dieser Beziehung zwischen Dasein und Welt. Sie definiert sich über die zunehmende Sorge um die Welt, in der das Dasein immer schon geworfen ist, genauer gesagt um die Macht, die diese ontische Welt besitzt, mit der sie ihre Entwürfe aufrechterhält und begrenzt, eine Welt, in der Offenes zu Ende gebracht werden muss, nicht zuletzt die Aufgabe, das Sein zu denken. Aspekte gewinnen an Gewicht, die bisher nur strukturell in Sein und Zeit vorhanden waren, so zum Beispiel die Tatsache, dass das Dasein Erbe einer Tradition ist, die an Griechen erinnert, an einen Aufgang, der in Parmenides Gedicht und Fragmenten von Animaxander die Frage des Seins der Seienden in ihrer Totalität beleuchtet.

Diese wachsende Sorge darum, womit die Welt gefüllt ist, hatte meines Erachtens in einem konkreteren Plan mit dem schlecht ausgestattetem nationalsozialistischen Unternehmen des Autors zu tun. Nachdem er die wirklichen Strömungen einer Geschichte erfahren hatte, die er freiwillig zu ändern gedachte mit dem Plan, die deutsche Universität in einen Schützengraben des Denkens zu verwandeln, wurde sich Heidegger auf tragische Weise der effektiven Macht der Vorbestimmung bewusst, welche die schon immer existierende Welt mit ihrer Sprache, ihren Wunschhorizonten, ihren Imperativen, ihren Versprechungen besitzt. Seine grösste Dummheit sei anscheinend das fehlende Bemerken gewesen, wie einschneidend der Nationalsozialismus Teil einer Weltkonfiguration war, deren andere hartnäckiges sich im Amerikanismus und im Kommunismus ausdrückten. Der Aufstieg des Kalten Krieges nach Hitlers Niederlage und das darauffolgende Wettstreiten um Rüstung, Sport, Raumfahrt und Entwicklung vertieften seine Wahrnehmung hinsichtlich des Grades der technischen Abhängigkeit seiner Zeit. Denn unabhängig von politisch ideologischen Stellungen war unübersehbar, dass alle groβen internationalen Akteure sich technisch fortentwickeln mussten.

Vollziehen wir einen Abstecher innerhalb des Abstechers: die Entwicklung und das Abwerfen der Atombomben über Japan ist ein stilles und gleichzeitig passendes Beispiel dieses Imperativs. Auf der Suche, die groβe, von ihm als "Geist Gottes" benannte Physis zu verstehen und in Mathematik zu verwandeln, entwickelte Einstein im Rahmen seiner theoretischen Bemühungen Korrelationen zwischen Materie und Energie, ohne die die Detonation des ersten atomaren Sprengkopfes nicht möglich gewesen wäre. Derselbe Einstein, der unter dem Druck der deutschen Einwanderung in die Tschechoslowakei, unter dem Druck beschlagnahmter Uranminen dieses Landes sowie dem Respekt deutschen Wissenschaftlern gegenüber stand, ermutigte sich 1939 dazu, Präsident Roosevelt von der Dringlichkeit zu schreiben, in das Projekt Manhattan zu investieren. All das, so der Chemikers Linus Pauling, um die im Wirbel der Geschehnisse getroffene Entscheidung ein wenig später zu beklagen.

Wie dem auch sei, wichtige Schritte machten sich in Heideggers Denken bemerkbar, während er seine Sorge zunehmend den Imperativen der technischen Welt widmete. Drei dieser Imperative stehen in besonderem Zusammenhang mit seiner Aufmerksamkeit auf Ostasien:

ERSTENS: Die veränderte Beziehung zur Sprache, allmählich wahrgenommen in ihrem geheimnisvollen Sein als ein bedeutender Bestandteil der Welt, in der das Dasein bereits begonnen hat, und in großem Maβe fähig vorauszubestimmen, was dort in jedem Moment gesagt oder gedacht werden kann.

ZWEITENS: Die Notwendigkeit, eine Geschichte der westlichen Mentalität auszuarbeiten, die uns bei dem Verständnis helfen könnte, wie wir zum derzeitigen Zivilisationsmoment und der darin enthaltenen Mentalität gekommen sind.

DRITTENS: Die Diskussion über den derzeitigen technologischen Moment und was damit inbegriffen ist und über die Möglichkeiten, so mit ihm umzugehen, dass Denken über das Sein lebendig bleibt.

 

4. Die Veränderung im Umgang mit der Sprache

Die Frage nach dem Umgang mit der Sprache ist sinnbildlich. Auffallend ist, dass der Autor im Moment der Ausarbeitung der fundamentalen Ontologie den folgenden Nachtrag einbezieht, während er über die verwendete Terminologie in Sein und Zeit spricht: "Gewaltsamkeiten sind in diesem Untersuchungsfelde nicht Willkür, sondern sachgegründet Notwendigkeit" (Heidegger, 1993, S.327). Im Vergleich dazu eine andere Aussage, 40 Jahre später. Heidegger wies 1969 in einem Interview mit Richard Wisser darauf hin, dass die Aufgabe des Denkens eines vorsichtigen neuen Umgangs mit Sprache bedürfe und nicht "der Erfindung neuer Termini, wie ich einmal dachte [...]" (Heidegger, 1970, S.77). In Sein und Zeit diskutierte Heidegger zweifellos die Rolle der Sprache in der verstehenden Erfahrung des Dasein, jedoch sah er keine Probleme darin, "sie zu vergewaltigen", um in seiner Arbeit die Frage über den Sinn des Seins wieder aufzunehmen. Das Buch ist für seine Neologismen berühmt, als ob Heidegger sich des Werdens seiner eigenen Sprache nicht bewusst würde, ihres langsamen Konstitutions- und Korporifikationsprozesses und folglich ihrer tatsächlichen wirklichen Macht der Vorbestimmung über das Verständnis und das Handeln jeden Daseins in der Welt, sei es als Bürger oder Denker. Nicht umsonst wurde bei der Übernahme des Rektorats seine Rede über den Aufruf an eine Entscheidung für ein Denken über die Totalität des Seienden so zweideutig verstanden, was dann auch nicht zufällig groβe Perplexität in ihm erzeugte. Zwar war die Hinwendung zu der gegenseitigen Zusammengehörigkeit vom Sein und dem Nichts 1933 bereits vorhanden, nicht jedoch die Wahrnehmung, wie sehr das Verdeutlichen dieser gegenseitigen Zusammengehörigkeit im Westen skandalös oder unverständlich sein könnte.

In diesem Sinn taucht in der Kehre die Wahrnehmung auf, dass jede Möglichkeit, das Denken über das Sein mitzuteilen, die Sorge um die Essenz der Sprache lenken muss, sowohl um ihren historischen Moment als auch um die Spannungsgrenzen, die sie an das anzupassen wissen, was gesagt werden musste und muss. Ausgehend von diesem Verständnis sucht Heidegger das Gespräch mit allen, die in der Lage sind, auf ihre Art und in ihrem Ton die so schlecht verstandene Frage nach dem Sein wieder aufzunehmen. Gleichzeitig begann er Möglichkeiten aufzudecken, die Frage nach dem Sein der eigenen Sprache ins Gespräch zu bringen, beispielsweise Fragen nach ihrer ursprünglichen, noch vor den großen Sprachstämmen existierenden Herkunft.

Ausgehend von dem Bestehen auf der Unvergleichbarkeit der japanischen und deutschen Sprache verstärkt eine der zentralsten Diskussionen aus Aus einem Gespräch von der Sprache unsere Befremdung darüber, wie sehr eine Sprache sich auf unterschiedliche Arten zu definieren vermag, so z.B. über phonetische oder ideogrammatikalische Arten. Nicht umsonst zögert Professor Tesuka damit, die japanische Bezeichnung kotoba für das deutsche Wort Sprache zu deklinieren und ihr einen Sinn zu geben. Die Schrift fügt sich in den Sammelband Unterwegs zur Sprache ein, der Ende der 50er Jahre veröffentlicht wurde, d.h. während der Hinwendung zu deutschen Dichtern und Sprachwissenschaftlern, für die sich Professor Tesuka Tomio so interessierte.

 

5. Die Dringlichkeit, eine Geschichte über den Westen auszuarbeiten: Von den Vorsokratikern zur technologischen Hegemonie

Ein zweiter Punkt, der mit Heideggers Interesse an Ostasien verbunden ist, bezieht sich auf die Notwendigkeit, eine philosophische Geschichte des Westens nachzuzeichnen, die uns dabei helfen könnte, Bewusstsein über den zurückgelegten Weg und seine Topografie bis hin zur heutigen technischen Herrschaft zu erlangen.

Ein wichtiger Text für die Aufarbeitung dieser Geschichte ist die zwischen 1931 und 1940 verfasste Platons Lehre von der Wahrheit, deren Veröffentlichung in eine groβe politische Chronik verwickelt war. In diesem Text schlägt Heidegger vor, dass das anfängliche, im Verlauf von Platons Werk sichtbar gewordene Projekt des Westens darin bestehen müsse, faire und diskursiv vertretbare Grundsteine für ein politisch pädagogisches Projekt zu legen, das uns vor krassen Fehlern bewahren könnte, wie es die Verdammung Sokrates zum Tode symbolisiert, in diesem Fall in derselben Gestalt menschlicher Exzellenz. Das Sein in seiner Wahrheit, von den Griechen als Aletheia (alétheia) gedacht – Unverborgenheit, Fluss der Nicht-Anwesenheit zur Anwesenheit – würde in seiner letzten Verständlichkeit gesehen werden, und in seiner durch und durch guten Idee als Modell für die Errichtung der Polis stehen. Das Sein würde von da an als ein sehr spezielles Seiende und grundlegender Bezugspunkt gedacht werden, dessen Grenzen von Horizonten und menschlichen Bedürfnissen nach Wohlstand und Gerechtigkeit beschrieben werden, so gesehen aus einer Perspektive des Humanismus heraus.

Der Widerstand des Seins, sich begrenzen oder als höchste Seiende denken zu lassen, hätte nichts Minderes als die Geschichte der Philosophie hervorgebracht, die von Heidegger wiederhergestellt wurde als eine Nachfolge grandioser und zugleich frustrierter Versuche, seine letzte Wahrheit einzufangen. Aristoteles jedoch und sogar Plato in seiner Endphase hätten innerhalb der "Theorie der Ideen" auf Mängel verschiedenster Natur hingewiesen. Heidegger charakterisiert die verschiedenen Zeitepochen – Altertum, Mittelalter und Moderne – ausgehend von verschiedenen Strategien, das Sein in ein den menschlichen Bedürfnissen angepasstes Seiende zu verwandeln. Das Projekt würde erste Anzeichen der Erschöpfung zeigen, wenn Kant die Geschichte der westlichen Philosophie als ein "Kampfplatz der endlosen Streitigkeiten" abstemple und käme mit der nihilistischen Diagnose Nietzsches über den Westen als ein "Fehler" zum Ende. Die Wissenschaft jedoch – vor allem die Mathematik und die Physik – hätten den sicheren Weg der Wahrheit eingeschlagen. Da aber die so gedachte Wissenschaft aufgrund ihrer eigenen Natur kein Gegenstück des Guten oder einer von der Metaphysik historisch erwünschten Gerechtigkeit schaffen konnte, bemühte sich Kant darum, Alternativen zu finden um eine Richtung dem allgemeinen menschlichen Tun zu geben. Seitdem ist zu beobachten, dass die Wissenschaften nach wie vor in ihrer Fähigkeit fortschreiten, den Menschen Mächte zur Verfügung zu stellen, die Natur um sich herum und sich selbst als Teil dieser Natur zu verwandeln, ohne dass diese Fähigkeit jedoch das erwünschte ethisch politische Gegenstück begleite. Mehr noch: die Wissenschaft, von der Metaphysik bereits getrennt, die ihr die Absichten vorschreiben wollte, wurde zum Mittel keines Zweckes, das heißt zur Produktion von Wissen, das ausschließlich der eigenen Logik der Nachforschung verpflichtet ist. "Die Wissenschaft denkt nicht", sagte Heidegger zehn Jahre später in Was heißt Denken? (Heidegger, 1954b, S.4) und bezog sich dabei auf die Tatsache, dass Wissenschaft sich nicht mit der Frage nach dem Sinn ihrer phantastischen Suche aufhalten könne. Die zu stellende, heute vielleicht ungewöhnlichste Frage lautet: Was haben wir tatsächlich im Sinn mit der Beschleunigung dessen, was durch die Technowissenschaft erzeugt wird?

In der Regel wird Heidegger größtenteils wegen der kritischen Wiedererarbeitung dieser Geschichte den Einflüssen zugeordnet, die im Hinblick auf die Missbilligung bezüglich der Trennung von Mensch und Natur und der Beraubung der zweiten durch erste, einige westliche Stimmen dazu gebracht haben, eine tiefe Ökologie oder deep ecology zu fordern. Unter diesen Einflüssen sind seit den 50er Jahren außer ihm Orientalismen wie der Zen-Buddhismus von Daisetz Suzuki zu finden, die von der damaligen Gegenkultur eher kühn als Alternative zu unseren westlichen Engpässen aufgefasst wurden. (vgl. Devall, 2003: The deep ecology movement)

Wichtig für die Affinität zum ostasiatischen Denken ist die Tatsache, dass Heidegger zum Zeitpunkt seiner Kehre damit begann, die Klassiker der westlichen Philosophie wiederholt zu lesen, jedoch nicht in der Absicht, Wege für eine neue ontologische Fundierung freizulegen, sondern mit dem Ziel – neben dem Versuch, den eingeschlagenen Weg besser zu verstehen.

Heidegger wiederholte bei verschiedenen Anlässen seine Aussage, dass man einem Denker die gröβte Ehre erweise, wenn man bis an den Punkt des Ungedachten innerhalb seines Denkens mit ihm gehe. Heideggers Suche nach einer neuen Form, die Frage nach dem primär durch Zeit oder Nichts "verkörperten" letzten Sinn des Sein wieder aufzunehmen, veränderte sich mit anderen Worten nach und nach in ein Denken über die verschiedenen Wege des sich Verbergens, des Rückzuges, des Entkommens oder des Suspendierens bezüglich der phantastischsten Versuche, es theoretisch zu überschreiten. Der Fokus gerät dann wieder und wieder auf das noch nicht Gedachte, in einem Rückzug, der alle Möglichkeiten schützt. Hier liegt mit Sicherheit ein gemeinsames Interesse mit und Anknüpfungspunkt an den Zen-Buddhismus und Taoismus mit ihrem Verständnis von Leere, Impermanenz und Nicht-Sinn.

Eine Anekdote aus dem chinesischen Zen-Buddhismus kann diese Nähe ganz gut verdeutlichen, ohne uns lange bei einem Vergleich aufhalten zu müssen. Wann immer man ihm eine Frage stellte, antwortete Meister Gutei mit erhobenem Finger ohne ein Wort auszusprechen. Ein Novize gewöhnte sich an, ihn zu imitieren. Eines Tages fragte ihn ein Besucher: - Welche Predigt hält der Meister gerade? Der Novize erhob zur Antwort den Finger. Als der Besucher auf den Meister traf, erhählte er ihm von dem Novizen, der ihn nachahmte. Wenig später versteckte der Meister ein Messer in seinem Gewand und rief den Novizen zu sich. Als dieser sich vorstellte, fragte Gutei ihn: - Was ist Buddha? Der Junge antwortete, indem er den Finger erhob. Daraufhin ergriff der Meister seine Hand und schnitt ihm mit dem Messer den Finger ab. Angsterfüllt wollte der Schüler davonlaufen, aber der Meister rief ihn mit einem lauten Ausruf zurück: - Novize! Als der Junge sich dem Meister zuwandte, stellte dieser ihm abrupt eine Frage: - Was ist Buddha? Der Schüler wollte den Finger erheben, aber er hatte keinen mehr. In diesem Moment erreichte er die Erleuchtung. (Gonçalves, 1992, S.161)

Eine ultimativer Schnittstelle zwischen dem Blick auf den Westen des zweiten Heidegger und sein deutliches Interesse an Ostasien ist mit Sicherheit die Lektüre der vorsokratischen Denker, was mit der Kehre ebenso rückläufig wird, und wird als eine seiner originellsten Verwirklichungen angesehen. Die Dimension der Verborgenheit des Seins sei in seinen Fragmenten enthalten, so zum Beispiel in Heraklits Ausspruch, "die Natur liebe es sich zu verstecken" oder in Parmenides ungewöhnlicher Bitte, nicht zu vergessen, dass "das Nicht-Sein nicht ist". Vorausgesetzt man denke die Wahrheit als Aletheia, Unverborgenheit so gibt Heidegger zu verstehen, dass sich die Vorsokratikern tief mit der Idee der Verborgenheit befassen, ohne jedoch den Fokus so auf sie zu richten, wie es einige Strömungen des spirituellen ostasiatischen Denkens getan hätten. Auf jeden Fall wäre im vorsokratischen Denken verstanden, dass die Unverborgenheit in ihrem kontinuierlichen Fluss stets immer tibutär der Möglichkeiten sei, die in der verborgene Breite, vom dem, was nicht zeigt ist. Und genau das wäre von der Metaphysik ursprünglich vergessen worden, die, so Heidegger, mit ihren "humanistischen" Entscheidungen die westliche Mentalität gründete.

Dies ist auch wahrscheinlich genau der Sinn Heideggers Worte an Professor Tesuka, das nämlich die Aufgabe westlichen heutigen Denkens ist, "das griechisch Gedachte noch griechischer zu denken", also in die der Metaphysik und des Humanismus entgegensetzte Richtung. Diese Aufgabe führt uns jedoch unweigerlich und mit allen möglich auftretenden Schwierigkeiten dahin, über eine mögliche Quelle der dem Westen und Ostasien gemeinsamen Inspiration zu meditieren, die sich beide der Erfahrung der primären Verweigerung des Seins zuwenden, aus der alle Möglichkeiten entspringen.

Um den Empfehlungen Heideggers für Professor Tanabe zu folgen, müsste man also dann Wege erforschen, die Ostasien von seinen ursprünglichen Inspirationen zu dem führten, was in ihm nun überwiegt, trotzt einige Bemerkungen prinzipiell weniger selten als im West.

Es lässt sich vermuten, dass das Sein dem Westen zugewandt metaphysisch aufgenommen wurde und uns zur Hegemonie der Technologie brachte; dem Osten zugewandt wurde es anders aufgenommen, mit anderen Namen und in anderen Sprachen; trotzdem konvergierte es ebenso zur Hegemonie der Technologie. Selbst wenn man sich vorstellt, wie es für westliche Menschen in der Regel einfacher ist, dass der Westen durch seinen Einfluss Ostasien zur technologischen Herrschaft geführt hat, muss man in der Form, wie Ostasien das Sein aufnahm und in der Entwicklung seiner Geschichte die Durchlässigkeit der Verwestlichung verstehen.

Parallel zu dieser Hypothese der Verwestlichung von Ostasien könnte man sich sogar vorstellen, dass Ostasien über seine eigenen Wege zur Hegemonie der Technologie gekommen ist. Man müsste dann bei einer anderen Metageschichte beginnen, völlig außerhalb der Reichweite Heideggers, daher seine Vorschläge an Tesuka in Aus einem Gespräch von der Sprache. Wie auch immer das Sein in den Mythen und im Denken des ostasiatischen Anderssein aufgenommen wird, so lässt sich nicht übersehen, dass seine Geschichte mit der technologischen Herrschaft zusammenfloss, und dass uns westlichen Menschen dieser Weg fast ganz verborgen bleibt.

 

6. Die Frage nach der Technik und das Gespräch mit Ostasien: Rashômon

Ein weiteres mal greife ich zurück auf Was heisst Denken?: "Das Bedenklichste" in unserer Zeit, sagt Heidegger, ist, dass wir noch nicht denken" (Heidegger, 1954b, S.3). Es handelt sich hier um einen eine Falte, ein Zeichen von Vergessen, das sich selbst nicht mehr bemerkt und deshalb nichts weiteres mehr tut als seine Zukunft in die Hoffnung der guten Nutzung einer Technologie zu legen, die immer heimtückischer unsere eigenen Subjektivitäten verkörpert. Heidegger sagt uns, dass das Problem nicht ausschließlich in der menschlichen Nachlässigkeit liege, in einer Lücke, die durch den souveränen Entschluss von Menschen gefüllt werden könnte, die nicht nur sich selbst und das, was ihnen zugeschrieben ist, nicht verstehen, sondern noch nicht mal die Frage hörbarer stellen können. Wie zu Beginn dieses bereits Textes erwähnt, handelt es sich letztlich nicht um etwas, das unbemerkt an westlichen Denkern vorbeiging und mit Hilfe von Ostasien pünktlich verbessert werden könnte; oder etwas einfacher gesagt, durch das eigene Denken von Heidegger mit all seinen Einflüssen und Originalitäten. Auch weil er sich selbst schriftlich miteinbezieht in diejenigen, die nicht in der Lage sind zu denken, was gedacht werden muss (vgl. Heidegger, 1954b, S.49). Die Hilfe kann allerhöchstens in der Vorbereitung eines Weges liegen.

Die Rekonstruktion einer metaphysischen Geschichte des Westens sowie die Frage nach einer möglichen Überwindung der technischen Eingliederung sind in diesem Sinn zugegebenermaβe präkere Formen des In-Frage-Stellens. Neben dem Versuch, dieser zu ihrem Ende gelangten Geschichte eine neue Bedeutung zu geben, problematisiert Heidegger die klassische Auffassung von Technik als ein Nebenprodukt der Wissenschaft und als reines Werkzeug menschlichen Beliebens. Aus diesem Grund versucht er ein Geschick des Seins zu denken, eine geheimnisvolle Bestimmung, die sich auf eine viel unerbittlichere Art und Weise über die Welt bestätigt, je weniger ostasiatische und westliche Menschen all das hinterfragen, was darin auf dem Spiel steht. Ein weiteres Mal stehen wir vor der Gefahr, auf die Heidegger Professor Tesuka hingewiesen hatte.

Die Frage nach der Technik aus dem Jahre 1953 ist hinsichtlich der insights ein beeindruckender Text und wird von allen gelesen und neu gelesen, die sich an die Aufgabe machen, eine Philosophie der "Technowissenschaft" zu erstellen. Heidegger denkt hier die Essenz der modernen Technik als Gestell. Seiner Erklärung in diesem Text zufolge verweist dieses Wort im Deutschen auf einen Rahmen, der gleichzeitig trägt und einrahmt, zusammensetzt, auferlegt, in Einklang bringt. Mir kommt das Bild eines Rasters von kleinen Fächern in den Kopf, in denen jedes Seiendes seinen Platz hat und mit den anderen in Beziehung steht, um einer Archiv- oder Lagerlogik folgend möglichst schnell und sicher verfügbar zu sein. Dieser Essenz folgend müsste das technische Projekt in diesem Rahmen am direktesten und möglichst praktischsten alle Seienden zur Verfügung stellen. Die Durchführbarkeit hat jedoch ihren Preis: sie stellt alle Seienden je nach ihrer Logistik in eine Hierarchie, wobei Heideggers größte Sorge die ungeheure Konformation darstellt, die sämtliche Wege für ein Denken versperren kann, das in der Lage ist, seinen unhörbaren Grund zu erforschen, so dass wir diese Logistik dann rein maschinell wiedergeben würden.

Heidegger ist nicht mehr am Leben, um das phantastische Windows funktionieren zu sehen, viel weniger noch Google, die neuste Form des Gestells, das heute die Art und Weise der Menschen, vor allem die der Jugend gestaltet, die Art und Weise wie sie in Beziehung zur Welt stehen, zum Wissen, zur Erinnerung, zur Sprache. Als Beispiel sei der Name einer Comunity im Orkut genannt, ein soziales Netzwerk von Google, in Brasilien weit verbreitet: "Ist es im Google nicht zu finden, dann existiert es nicht" (http://www.orkut.com.br/Main#Community?cmm=102180326)3

Die Frage nach der Technik endet mit einem berühmten Satz: "Denn das Fragen ist die Frömmigkeit des Denkens" (Heidegger, 1954a, S.44). Aber Heidegger bereitet in seinem Text die Nutzung des Wortes "Frömmigkeit" vor – nicht umsonst wählt er es als Kern seines schließenden Satzes. Er beruft sich darauf, dass der Stamm fromm über seine Herkunft aus dem Griechischen "promos” (Heidegger, 1954a, S.42) verstanden werden muss und auf den anspielt, der vorne läuft, der sich als erster dem Kampf stellt, der sich hingiebig und entblöβt dem öffnet, was sich noch nicht enthüllt, obgleich am Horizont angedeutet hat.

Vieles deutet sich heute am Horizont einer Welt an, in die Menschen aus West und Ostasien eingetaucht sind. Aber wie soll man sie denken in der Geschwindigkeit, mit der sie sich gestalten? Neuen Projektionen zufolge werden die Chinesen in absehbarer Zukunft die größte Anzahl englisch sprechender Menschen auf diesem Planeten sein. Aber welche Chinesen? Bis zu welchem Grad hängen sie an der Technologie, nach ihrem groβen Sprung nach vorne, marxistisch inspiriert, und nach der darauffolgenden Kapitalisierung. Und welches Englisch sprechen sie? Shakespeares, Geschäftsenglisch oder das Englisch der sozialen Netzwerke. Umgekehrt sieht man die schnelle Verbreitung des Mandarins vor, neben der wachsenden chinesischen Wirtschaft (vgl. Jacques, 2010). Aber welches Mandarin? Kann man von einem technisch vereinfachten Mandarin sprechen oder würden wir hier auf eine wirkliche Barriere gegen die Instrumentalisierung der Sprache stoßen? Wenn dies der Fall ist, warum hat die Sprache dann nicht die Kapitalisierung der Bräuche und die massive Übernahme technologischer Imperative unter den Chinesen verhindert? Oder vielleicht hätten wir noch einen anderen Grund uns vorzustellen, dass das chinesische Volk genau das verwirklicht hat, was Heidegger in Gelassenheit als eine "Ja und Nein" Einstellung gegenüber der Technologie definiert hat? (Heidegger, 1977, S.23)

Werden wir uns vielleicht endlich minimal der tektonischen Bewegungen bewusst, die uns auflauern? Wie verläuft die Aufnahme dieses von den Chinesen heute gesprochenen Mandarins in den Schoß der anderen Sprachen? Was soll man von den elektronischen Übersetzern in vollem Fortschritt halten? Zahlt hier nicht die Sprache auf noch viel einschneidender Weise den Preis für das Gestell, für die Logik der Integration in die Welt der Praktizität und Schnelligkeit? Was wird letztlich aus Heideggers Ermahnungen über die Bemühungen, grundlegende Fragen in jede Sprache aufzunehmen?

Ich beende diesen Text mit einem Abstecher, indem ich an die Behauptung erinnern möchte, die ihn stützt: die Verdeutlichung von Heideggers Interesse an einer estimmten spirituellen ostasiatischen Tradition steht in direkter Beziehung zu seinem Bemühen, den von ihm für essentiell gehaltenen Fragen einen Nachhall inmitten der unilateralen Herrschaft der Technologie zu verschaffen. Der Abstecher beginnt ein weiteres mal bei dem Gespräch mit Professor Tesuka und bezieht sich auf den Film Rashômon von Akira Kurosawa (1910–1998), dessen Drehbuch auf zwei Erzählungen von Ryûnosuke Akutagawa, Rashômon (1915) und Yabu no Naka (1921) basiert. Der Film lief 1950 in Japan und stieß bei den örtlichen Kritikern auf Ablehnung, erhielt ab 1951 im Westen jedoch eine Anzahl von Premien und löste einen bis heute andauernden Ruhm Kurosawas aus, was ihn wesentlich bekannter als zum Beispiel Yasujiro Ozu (1903–1963) machte. Daraufhin stellten die japanischen Kritiker Thesen über die Auswirkungen des Filmes auf, in denen sie ihn "verwestlichter" als die Mehrheit japanischer Filme beurteilten. Kurosawa hätte daraufhin geantwortet, dass "Japan sehr wenig über seine eigenen Dinge nachdenke". Wie dem auch sei, durch den Film entstand eine Sammlung von Interpretationen, zusammengetragen von Donald Richie in den 80er Jahren, die exakt den Charakter der Öffnung, der Unklarheit und Unvollendung beschreiben, für den Heidegger sich interessierte. Seinem Bericht zufolge in Aus einem Gespräch von der Sprache hätte Tesuka Tomio sich im Zuge einer Diskussion über die Verwestlichung von Ostasien auf den Film berufen, ohne den Grund dafür zu verstehen, da er meinte in ihm "das Bezaubernde der japanischen Welt zu erfahren, das in das Geheimnisvolle entführt", obwohl er den Film nur ein einziges mal gesehen hatte (Heidegger, 1975, S.104). Professor Tesuka gibt indessen in seinem eigenen bereits erwähnten Bericht über das Gespräch zu verstehen, dass es der an japanischer Literatur interessierte Heidegger war, der nach dem Text fragte, welcher Kurosawa für die Anpassung von Rashômon diente, wobei er die Frage offen ließ, ob in diesem Film eine reine Veranschaulichung der ostasiatischen Art gesehen werden könnte, die Wirklichkeit zu begreifen. Man lasse noch einmal die Frage danach beiseite, was sich wörtlich bei dem Treffen zwischen Heigegger und Tesuka abspielte; alleine der gestellte Bezug auf Rashômon in Aus einem Gespräch von der Sprache charakterisiert die heideggersche Bewegung, Nachhall in einer Welt zu suchen, die sich in diesem Fall bis auf ein mögliches cinomatographisches japanisches Anderssein ausweitet, zugleich aufmerksam gegenüber der Öffnung des Seins und dem Westen zugänglich ist. Das Drehbuch des Filmes macht es unmöglich zu wissen, wie die Tatsache wirklich geschah, da sie auf verschiedene Weise von unterschiedlichen Personen erzählt wurde. Abgesehen davon würde der Film seinen gesamten Zauber einbüßen, würde sich das Rätsel auflösen.

Im Großen und Ganzen denke ich, dass der Westen und Ostasien sich heute beide trotz all der Motive, die rund um die Welt Erstaunen erzeugen, um einen gemeinsamen Nenner bemühen, die Dinge zu sehen, Dinge, die immer schneller und verknüpfter werden, immer weniger poetisch und noch maschineller, immer undurchlässiger gegenüber Fragen, die nicht sofort beantwortet werden können.

 

Literatur

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Tradução: Anisha Vetter e Antonio Florentino Neto

 

Recebido em 01/09/2011
Aprovado em 12/11/2011

 

 

1Die Nummer der Ausgabe wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht.
2 Heidegger is the only Western Philosopher who not only thoroughly intellectually understands but has intuitively grasped Taoist thought.
3Am 23/5/2010 eröffnet. Letzter Zugang von mir am 20/12/2010.