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Natureza humana

versão impressa ISSN 1517-2430

Nat. hum. vol.13 no.2 São Paulo  2011

 

Artigos

 

Heidegger und das unausweichliche Gesprach mit dem ostasiatischen Denken

Heidegger e o inevitável diálogo como pensamento oriental

 

Heidegger and the inevitable dialogue with Eastern thought

 

 

Antonio Florentino Neto

Universidade Federal de Lavras
e-mail: floraneto@hotmail.com

 

 

 


Resumo

A reflexão sobre o inevitável diálogo com o pensamento oriental expresso por Heidegger é instigante, considerando que nenhum outro filósofo na história do pensamento ocidental esteve, como ele, ao mesmo tempo tão distante e tão próximo do pensamento oriental. A distância percebe-se em suas recorrentes e categóricas afirmações de que a filosofia é um acontecimento eminentemente ocidental. A proximidade, não tão explícita quanto à distância, reside no fato de Heidegger ser o primeiro pensador ocidental que, no âmbito da filosofia, indica a abertura ao diálogo com o Oriente, como uma possível solução para questões que a metafísica ocidental não conseguiu solucionar. A ideia de abertura ao diálogo com o Oriente em Heidegger tem como referência direta o diálogo com o universo grego, o retorno ao início, que se torna central em seu pensamento a partir do final da década de 1930.

Palavras-chave: ocidente, oriente, pensamento, Heidegger


Zusammenfassung

Heideggers Aussage über das „unausweichliche Gespräch mit der ostasiatischen Welt" zeigt, dass für ihn das Gespräch zwischen westlichem und östlichem Denken noch kommen müsse. Das behauptete er im Jahre 1953, kurz bevor er mit dem japanischen Germanisten Tomio Tezuka einen Dialog führte, der als Grundlage für die Schrift Aus einem Gespräch von der Sprache diente. Weiter gab es keine relevante Äußerung über seine Beziehung zur ostasiatischen Welt mehr, die seine Ansicht über das Gespräch als einer zukünftigen Angelegenheit relativieren würde. Seine intensiven Kontakte mit der östlichen Welt bezeichnete er selbst nicht als ein Gespräch, sondern als dessen Vorbereitung, die eine Auseinandersetzung mit dem Anfang des abendländischen Denkens voraussetze. Die Reflexion über die Einflüsse und Übereinstimmungen zwischen Heidegger und dem ostasiatischen Denken ist anspornend und treffend, wenn man berücksichtigt, dass kein anderer Philosoph in der Geschichte des abendländischen Denkens so weit davon entfernt und zugleich so nah am ostasiatischen Denken war, wie Heidegger. Die Annäherungspunkte sind verstreut, aber die Distanzierungen äußern sich in kategorischen Darlegungen Heideggers, die das Philosophieren als eine ausschließlich abendländische Erfahrung betrachten.

Schlüsselwörter: Westlichen-, Ostasiatischen Denken, Heidegger.


Abstract

The reflection on the inevitable dialogue with Eastern thought expressed by Heidegger is intriguing, considering that no other philosopher in the history of Western philosophy has been so distant and yet so close to Eastern thought as he was. His distance is expressed by his repeated and categorical assertions that philosophy is essentially a Western experience. His closeness, which is less explicit, lies in the fact that Heidegger was the first Western thinker who, in the context of philosophy, mentions that openness to the dialogue with the East might provide solutions to issues that Western metaphysics has failed to solve. The idea of openness to the dialogue with the East in Heidegger has its direct reference in the dialogue with the Greek world, the return to the source, which becomes central in his thinking from the late 1930s.

Keywords: West, East, thought, Heidegger


 

 

Ab Ende der Achtzigerjahre beginnt mit der Veröffentlichung von verschiedenen Büchern und Aufsätzen eine neue Ebene der Auseinandersetzung über die Beziehung zwischen Heidegger und dem ostasiatischen Denken, hauptsächlich über den Einfluss des Taoismus und Zen-Buddhismus auf sein Werk. Dies wird zum ersten Mal als ein wichtiges Anliegen von den abendländischen Forschern auf dem Gebiet der Philosophie betrachtet, die diese Gedanken ordnen und ihnen eine neue Richtung geben. Unter den verschiedenen zu dieser Zeit veröffentlichten Studien über die Beziehung zwischen Heidegger und dem Morgenland zeichnet sich insbesondere das von Reinhard May herausgegebene Buch Ex oriente lux aus, das zum ersten Mal an jene Fakten und Nachweise vollständig herangehen, die auf die Beziehung zwischen Heidegger und dem ostasiatischen Denken hindeuten, und ferner auch eine allgemeine Analyse des östlichen Einflusses auf dessen Werk vollziehen. Alle Studien dieser Zeit, die diese Beziehung behandeln, weisen auf einen Einfluss hin. Vor allem seit Heideggers Publikationen nach den Vierzigerjahren wird die Betonung nicht mehr auf die Diskussion über das Vorhanden- oder Nicht-Vorhandensein dieses Einflusses auf Heidegger gesetzt, sondern nimmt diese Auseinandersetzung einen anderen Kurs. Es wird nämlich nun untersucht, wie relevant der Einfluss des ostasiatischen Denkens auf das Heideggersche ist.

Das Buch von May ist die erste umfassende Forschungsarbeit über die Rezeption des ostasiatischen Denkens in Heideggers Philosophie, vor allem in den Nachkriegswerken. May analysiert Heideggers Schriften da, wo Begriffe wie Nichts, Leere und Lichtung relevant sind, und vergleicht sie mit entsprechenden ostasiatischen Begrifflichkeiten. In seiner Untersuchung verknüpft May Heideggers Anwendungen von „ostasiatischen" Ideen mit Fakten, die die Quellen und Ursprünge erklären. May kann als der radikalste deutsche Ausleger der Beziehung zwischen Heidegger und östlichem Denken bezeichnet werden. Er versucht nachzuweisen, dass Heideggers Philosophie einem uneingeschränkten Einfluss aus dem Taoismus und Zen-Buddhismus unterliegt.

Die so gegenübergestellten Textpassagen, die selbstverständlich im Kontext zu verstehen sind, lassen wohl kaum noch Zweifeln zu, daß Heidegger sein nichtabendländisches Nichts –(Seins-) Verständnis, das er in späteren Texten klar und deutlich herausgearbeitet hat (s. o. I. 1.) und in dessen Licht er die früheren Texte, unbedingt ebenso deutlich, verstanden wissen will, taoistischen und zen-buddhistischen Denkweisen verdankt. Aus guten Gründen können wir insoweit davon ausgehen, daß Heidegger derartige (sinngemäße und teilweise wortgleiche) Entsprechungen mit Hilfe der genannten und ihm gut bekannten Texte (s. § 1) erarbeitet und in sein Werk integriert hat. (May, 1989, S.44-45)

Mays radikale Betrachtungen über einen wesentlichen Einfluss des östlichen Denkens auf Heideggers Werke gehen indes noch weiter, indem er zeigt, dass Heidegger, ohne zu zitieren, wichtige Stellen aus Schriften des ostasiatischen Denkens als seine eigenen verwendet hat.

Die Untersuchung kommt zum Ergebnis, daß Heideggers Werk in wesentlichen Teilen ostasiatisch beeinflußt ist. Darüber hinaus kann in Einzelfällen gezeigt werden, daß Heidegger sogar große Gedanken teilweise fast wörtlich aus deutschen Übersetzungen taoistischer und zen-buddhisticher Klassiker übernommen hat. Die so heimlich betriebene und in diesem Ausmaß bislang unentdeckte Vertextung nicht-abendländischer Geistigkeit scheint einzigartig zu sein. Die Konsequenzen für die zukünftige Heidegger-Interpretation sind nicht abzusehen. (May, 1989, S.12)

Mit der Veröffentlichung des Buches von May standen die Heideggerforscher zum ersten Mal starken und gut begründeten Argumenten gegenüber, die darauf hinwiesen, dass Heidegger entscheidende Einflüsse aus dem östlichen Denken bekam. Mays Arbeit wurde aber nur sehr selten, wie etwa von Otto Pöggeler, berücksichtigt. Pöggeler betrachtet Heideggers Auseinandersetzung mit dem ostasiatischen Denken und vor allem mit Lao Tse jedoch nur als einen Versuch, Spuren von verlorenen und vergessenen Ursprüngen nicht nur in Griechenland, sondern auch in Asien zu finden (Pöggeler, 1992, S. 407). Im Gegensatz zu May sieht Pöggeler keine inhaltliche Bedeutung des östlichen Denkens für Heideggers Philosophie; die Zusammenarbeit mit Hsiao solle nur als ein frustrierender Versuch mit begrenzten sprachlichen Mitteln betrachtet werden:

Zweifellos steht Heideggers kurzer Versuch, mit Laotse in ein Gespräch zu kommen, in unserer heutigen Situation in einem neuen und anderen Kontext. Die Weise, wie Heidegger und z.B. auch Heisenberg sich auf die taoistische Tradition beriefen, war wohl motiviert. Leitend war die Frage, wie die Natur in ihrer Eigenständigkeit und die Menschen in ihr von dem Zugriff der universalen Technik in einer Zeit der Weltkriege und der Tendenzen zu einer alles nivellierenden Weltzivilisation zu retten seien. Heidegger hat schnell eingesehen, daß die Sprachbarriere auch mit Hilfe eines (längst europäisierten) chinesischen Lektors nicht zu überwinden sei. (Pöggeler, 1999, S. 112)

Pöggelers Aufsatz Noch einmal: Heidegger und Laotse, aus dem die obige Passage stammt, zeigt bereits im Titel eine gewisse Ungeduld mit der „wiederholten" Diskussion um Heidegger und Ostasien, doch hat er sich zumindest mit dem Thema beschäftigt. Eine überzeugende Gegenargumentation zu Mays Untersuchung legte er allerdings nicht vor. Er versucht auf den ersten drei Seiten des Aufsatzes zu zeigen, dass Hsiaos Bericht voll von Widersprüchen sei, weswegen seine Version über die Zusammenarbeit mit Heidegger nicht ernst genommen werden solle. Als Begründung für seine Argumente nahm Pöggeler Heideggers Brief an Jaspers, wo Heidegger eine unüberwindbare Sprachbarriere bei der Zusammenarbeit mit Hsiao erwähnt. Heideggers Bemerkung über die „Sprachbarriere" scheint in eine durchaus vergleichbare Richtung wie die Hegelsche Problematik zu gehen. Wie im ersten Kapitel dargestellt wurde, betrachtet Hegel die chinesische Sprache als „großes Hindernis für die Ausbildung der Wissenschaften (…) so haben die Chinesen kein besseres Instrument für die Darstellung und Mitteilung des Gedankens" (Hegel, 1995, S. 169-170). Der Vergleich zwischen Heideggers und Hegels Bemerkungen über die chinesische Sprache wird im nächsten Abschnitt noch betrachtet werden, zuvor aber möchte ich einige Gegenargumente Heideggers hinsichtlich eines möglichen Einflusses des ostasiatischen Denkens auf seine Philosophie erwähnen.

Die Reflexion über die Einflüsse und Übereinstimmungen zwischen Heidegger und dem ostasiatischen Denken ist anspornend und treffend, wenn man berücksichtigt, dass kein anderer Philosoph in der Geschichte des abendländischen Denkens so weit davon entfernt, und zugleich so nah am morgenländischen Denken war, wie Heidegger. Die Annäherungspunkte sind, wie schon gezeigt, verstreut. Die Distanzierungen aber äußerten sich in kategorischen Darlegungen, die das Philosophieren als eine ausschließlich abendländische Erfahrung betrachten, wie in seiner Vorlesungen über Heraklit von 1943.

Der Titel der Vorlesung spricht vom abendländischen Denken. Der Ausdruck ›abendländische Philosophie‹ wird vermieden; denn diese Bezeichnung ist streng gedacht ein überladener Ausdruck. Es gibt keine andere Philosophie als die abendländische. Die ›Philosophie‹ ist in ihrem Wesen so ursprünglich abendländisch, daß sie den Grund der Geschichte des Abendlands trägt. Aus diesem Grunde allein ist die Technik erwachsen. Es gibt nur eine abendländische Technik. Sie ist die Folge der ›Philosophie‹ und nichts außerdem. (Heidegger, 1987, S. 3)

In der Abhandlung Was ist das – die Philosophie, die Heidegger im Jahre 1956 chrieb, geht er am weitesten mit der Behauptung, dass sich die Philosophie nur in der europäischen Welt entfalten könne.

Die oft gehörte Redeweise von der ›abendländisch-europäischen Philosophie‹ ist in Wahrheit eine Tautologie. Warum? Weil die „Philosophie" in ihrem Wesen griechisch ist (...) Der Satz: die Philosophie ist in ihrem Wesen griechisch, sagt nichts anderes als: das Abendland und Europa, und nur sie, sind in ihrem innersten Geschichtsgang ursprünglich „philosophisch". (Heidegger, 1965, S. 13)

Mit den zwei obigen Zitaten scheint das Problem des Einflusses eines nicht-abendländischen Denkens auf Heideggers Philosophie endgültig ausgeschlossen zu sein. Die kategorischen Behauptungen sind klar, aber damit tauchen einige Probleme auf, die sehr schwer zu überwinden sind, da die Behauptungen, auf den ersten Blick, nicht einfach zu verfechten sind. Heideggers Grundsätze scheinen einfach eine eurozentrische Hybris zu sein, wie sie sonst nur bei Herder und Hegel zu finden ist. Wenn man die Geschichte der Beziehung zwischen Heidegger und Ostasien berücksichtigt, klingen die obigen zitierten Stellen völlig unpassend, aber das ist genau der Punkt, der Heideggers Verhältnis zum ostasiatischen Denken anziehend macht, da er ein interessantes Spiel zwischen Nähe und Ferne in der Beziehung ermöglicht.

Reiner Thurnhers Interpretation der oben erwähnten Probleme in einer Abhandlung mit dem Titel Der Rückgang in den Grund des Eigenen zeigt hingegen, dass Heideggers Behauptungen überhaupt nicht als eurozentrische Auffassung der Philosophie verstanden werden sollten (Thurnher, 1993, S. 129-141). Da für Heidegger die Philosophie keine Kulturleistung ist und da er auch in der Gegentradition des metaphysisch-philosophischen Denkens steht, sollen für Thurnher Heideggers Behauptungen im Kontext seines Dekonstruktionismus interpretiert werden.

Die so verstandene These, daß die Philosophie ein ausschließlich abendländisches Ereignis ist, schließt nicht aus, sondern schließt gerade ein, daß die Lichtung von Welt sich auch in ganz anderer Weise und aus einem ganz anderen Zuspruch und Anspruch bestimmen kann. So bringt die These Heideggers ihrem wahren Sinne nach das gerade Gegenteil eines kulturchauvinistischen Anspruchs zum Ausdruck. (Thurnher,1993, S. 132)

Thurnhers Begründungen für seine Interpretation stelle ich hier nicht weiter dar. Seine Interpretation ist jedoch unentbehrlich für die Diskussion über einen Einfluss des ostasiatischen Denkens auf Heideggers Philosophie. Mit Heideggers ambivalenter Haltung und seinen Äußerungen zum ostasiatischen Denken entsteht dennoch eine Situation in der Beziehung zwischen der deutschen Philosophie und dem östlichen Denken, die seinen höchsten Punkt mit dem „Dialog" zwischen Heidegger und Tezuka erreicht und den Antrieb für die philosophisch-interkulturelle Auseinandersetzung zwischen östlichem und westlichem Denken darstellt.

 

1. Die Häuser der „Seine"

Heideggers Dialog Aus einem Gespräch von der Sprache – Zwischen einem Japaner und einem Fragenden ist seine einzige Schrift, in der er deutlich seine Vorstellung über das ostasiatische Denken äußert. In diesem Gespräch sind seine Bemerkungen über die östliche Welt nicht so verstreut wie in allen anderen Texten. Laut Petzet hielt Heidegger selbst diese Schrift für eine seiner von ihm selbst geschätztesten Arbeiten, die aber keine entsprechende Rezeption bei seinen Lesern fand (Petzet, 1983, S. 175). Heideggers Dialog wurde bis heute nur en passant erörtert, aber noch nicht ausführlich analysiert. Das von Heidegger erdachte Gespräch hat als Basis die schon erwähnten Begegnungen mit den Japanern Shuzu Kuki im Jahre 1929 und Tomio Tezuka 1954. Professor Tezuka war renommierter Germanist und Übersetzer von Goethe, Hölderlin, Rilke und anderen deutschen Autoren ins Japanische. Mit Tezuka, der auch Heideggers Texte ins Japanische übersetzte, traf Heidegger sich in Freiburg, wo ein Gespräch zwischen den beiden stattfand. Diese Begegnung wird später von Tomio Tezuka in einem Artikel beschrieben, der ursprünglich auf Japanisch verfasst und später ins Deutsche unter dem Titel „Eine Stunde bei Heidegger" übersetzt wurde (Tezuka, 1989, S. 173 -180).

Tomios Aufsatz über das Gespräch mit Heidegger weicht in vielen Aspekten von Heideggers Gespräch ab, aber gerade die Unterschiede geben wertvolle Hinweise für die Diskussion über den west-östlichen Dialog. Heideggers ungewöhnliche Abhandlung in Form eines Dialogs scheint bei einer ersten Lektüre einfach zu sein, doch ist der Text extrem schwierig, da es sich hier nicht nur um eine Auseinandersetzung mit dem östlichen Denken handelt, sondern auch um eine ausführliche Selbstinterpretation seines ganzen Denkens, wie May klarstellt:

Das Gespräch mit Tezuka scheint für Heidegger vielfach eine willkommene Inspirationsquelle gewesen zu sein; dabei bot es natürlich auch einige Anknüpfungspunkte für mitunter typische Heidegger-Formulierungen. Das Ergebnis, sein „Gespräch" also, ist insoweit eine ungewöhnliche Präsentation des Heideggerschen Denkens (May, 1989, S. 27).

Heidegger macht in seinem Gespräch nicht nur seine bessere Selbstinterpretation, sondern er stellt auch am deutlichsten die Frage nach dem Wesen des japanischen (östlichen) Denkens. Heideggers Schrift-Dialog ist außerdem der Höhepunkt seiner „taoistischen" Phase, die mit der Zusammenarbeit mit Hsiao bei der Übersetzung des Tao-te-king begann. Am Anfang des Gespräches wurde der Fragende, d.h. Heidegger, von dem japanischen Gesprächspartner, d.h. von Tezuka, nach dem Grafen Kuki gefragt. Tezuka war bekannt, dass Heidegger Kuki kannte und mit ihm die erste Diskussion über japanische Kunst geführt habe. Die Frage gab Heidegger den Anlass, das Thema „Iki" zu erörtern, das als zentrale Problematik in Kukis gleichnamigem Buch (Kuki, 2004) dargestellt wurde, und auch eine wichtige Frage im Gespräch zwischen Heidegger und Kuki darstellte. Wie bereits gesagt, ist Kukis Hauptwerk eine ästhetisch-hermeneutische Analyse des japanischen Begriffes Iki, die im Gespräch als eines von zwei zentralen Themen behandelt wird. Heidegger fragt, ob die Asiaten europäische Begriffe für die Analyse ihrer Kunst brauchten.

F Graf Kuki hat später, nach seiner Rückkehr aus Europa, in Kyoto Vorlesungen über die Ästhetik der japanischen Kunst und Dichtung gehalten. Sie sind als Buch erschienen. Er versucht darin, das Wesen der japanischen Kunst mit Hilfe der europäischen Ästhetik zu betrachten. F Aber dürfen wir uns bei einem solchen Vorhaben an die Ästhetik wenden? F Der Name und das, was er nennt, stammen aus dem europäischen Denken, aus der Philosophie. Deshalb muß die ästhetische Betrachtung dem ostasiatischen Denken im Grunde fremd bleiben. J Sie haben wohl recht. Allein wir Japaner müssen die Ästhetik zu Hilfe rufen. F Wofür? J Sie verschafft uns die nötigen Begriffe, um das zu fassen, was uns als Kunst und Dichtung angeht. F Benötigen Sie Begriffe? J Vermutlich ja; denn seit der Begegnung mit dem europäischen Denken kommt ein Unvermögen unserer Sprache an den Tag (Heidegger, 1997a, S.86).

Die obige Passage aus dem Gespräch rührt schon an einen zentralen Punkt der Diskussion über den Unterschied zwischen westlichem und östlichem Denken. Heidegger benutzt zunächst den Ausdruck „europäische Ästhetik" und scheint damit offen zu lassen, ob es auch eine „japanische Ästhetik" geben könnte. Aber zugleich wird behauptet, dass eine ästhetische Betrachtung in der östlichen Welt unmöglich sei, da die Ästhetik eine abendländische philosophische Denkweise sei. Das ist eigentlich die Entfaltung von Heideggers Behauptung, dass der Begriff „abendländische Philosophie" eine Tautologie sei. Der Fortgang des Zitats wird dort interessanter, wo Heidegger den Japaner fragt, ob er die philosophische ästhetische Betrachtung benötige, um die japanische Kunst zu verstehen. Der Bejahung folgt sodann das Argument, dass die japanische Sprache nicht in der Lage sei, in die Welt der westlichen Philosophie einzutreten. Die Problematik scheint im Bereich der grammatischen Struktur der Sprache zu liegen, was sich jedoch nicht bestätigen lässt, wenn man in dem Gespräch weiter geht.

F Vor einiger Zeit nannte ich, unbeholfen genug, die Sprache das Haus des Seins. Wenn der Mensch durch seine Sprache im Anspruch des Seins wohnt, dann wohnen wir Europäer vermutlich in einem ganz anderen Haus als der ostasiatische Mensch. J Gesetzt, dass die Sprachen hier und dort nicht bloß verschieden sondern von Grund aus anderen Wesens sind. F So bleibt denn ein Gespräch von Haus zu Haus beinahe unmöglich (Heidegger, 1997a, S.90).

Heidegger betrachtet erst im Brief über den Humanismus (Heidegger, 1969, S.145) die Sprache als das Haus des Seins, d. h. kurz nach der Zusammenarbeit mit Hsiao; diese Benennung wird in dem Gespräch mit einem Japaner wiederholt. In beiden Momenten war er mit dem ostasiatischen Denken konfrontiert. Die Arbeit mit Hsiao wurde, wie Heidegger in seinem Brief an Jaspers behauptet, aufgegeben, weil die Sprache für ihn fremd war: „durch Fragen erfuhr ich erst, wie fremd uns schon das ganze Sprachwesen ist." Die Bestätigung, dass das Sprachwesen fremd sei, reicht aber nicht für die Folgerung aus, dass ein Gespräch zwischen ostasiatischen und europäischen Sprachen nicht möglich sei. Ähnlich wie Hegel sieht auch Heidegger ein sprachliches Hindernis, eine Barriere in der ostasiatischen Sprache für das Philosophieren.

Einige scheinbar einfache Fragen müssen jetzt gestellt werden: Was meint eigentlich Heidegger mit Sprache? Ist sie noch eng mit der Grammatik verbunden, oder steht sie für Heidegger auf einer ontologischen Ebene? „Die Sprache ist das Haus des Seins"! Wohnen dann Europäer und Asiaten in ganz unterschiedlichen Häusern, oder wohnen wir als Sprechende alle in einem einzigen Haus?

Mit diesen Fragen eröffnen sich einige mögliche Perspektiven für die Betrachtung des Ost-West-Dialogs, die mit Heideggers „provokativen" Behauptungen eine neue Ebene in der Geschichte der Beziehung zwischen der westlichen Philosophie und dem ostasiatischen Denken erreicht. Die Frage nach dem Wesen der Sprache in Heideggers Philosophie1 wird, nach der Veröffentlichung des Gesprächs, die zentrale Frage für das entstandene Gespräch zwischen Heideggers Philosophie und dem ostasiatischen Denken. Seine Beziehung mit dem ostasiatischen Denken wurde von ihm selber nie als Gespräch betrachtet, da er auf unmissverständliche Weise das Gespräch mit den alten Griechen, vor allem mit Anaximander, Heraklit und Parmenides, als Vorbedingung für das „unausweichliche Gespräch" mit der östlichen Welt bezeichnet.

Heideggers Vorstellung der Rückkehr zum Anfang der westlichen Philosophie als Vorbereitung für das zukünftige Gespräch mit dem ostasiatischen Denken weist darauf hin, wie die westlichen Philosophen sich für das Gespräch vorbereiten können. Die ostasiatischen Denker betrachten aber nicht die ersten griechischen Philosophen, sondern Heideggers Philosophie als Vorbedingung für den Anfang des Gespräches, wie dies Sonoda in einem Aufsatz mit dem Titel Wohnen die Ostasiaten in einem anderen ›Haus des Seins‹? darstellte:

Wenn ein ostasiatisches Denken, das keine metaphysische Tradition kennt, durch Heidegger angeregt, sich einmal aus seinen eigenen Erfahrungen auf das Wesen seiner Sprache und die Andersheit seines Hauses des Seins besinnt, so könnte dies den Anfang des Versuchs bedeuten, den Denkweg Heideggers einen Schritt weiter zu führen, und ein fruchtbares Gespräches zwischen dem westlichen und östlichen Denken zu stiften. (Sonoda, 1989, S. 150)

In seinen Überlegungen über die verschiedenen Wohnorte des Seins eröffnet sich auch eine interessante und problematische Richtung für Reflexion: Kann ein einziges Sein verschiedene Häuser bewohnen, oder müssen unbedingt verschiedene „Seine" sein, die in den unterschiedlichen Häusern wohnen? Die Frage über die Unterschiede zwischen den verschiedenen Häusern, zwischen ostasiatischer und europäischer Sprache, lässt sich nicht einfach aus Heideggers Schriften verstehen. In Gegenteil, die Frage, die er in seinem Gespräch stellt, scheint widersprüchlich zu sein, wenn man sie mit seiner Definition von „Mensch" und „Wohnen" in dem Aufsatz Bauen Wohnen Denken vergleicht.

Die Art, wie du bist und ich bin, die Weise, nach der wir Menschen auf der Erde sind, ist da Buan, das Wohnen. Mensch sein heißt: als Sterblicher auf der Erde sein, heißt: wohnen. Das alte Wort bauen, das sagt, der Mensch sei, insofern er wohne (Heidegger,2000, S. 141) Der Grundzug des Wohnens ist dieses Schonen. Er durchzieht das Wohnen in seiner ganzen Weite. Sie zeigt sich uns, sobald wir daran denken, daß im Wohnen das Menschsein beruht und zwar im Sinne des Aufenthalts der Sterblichen auf der Erde (Heidegger, 2000a, S. 143)

Heideggers Beziehung zur ostasiatischen Welt betrachte ich zum einen als Vorbereitung für den Anfang des Gespräches zwischen europäischem und ostasiatischem Denken, zum anderen auch als Teil der ersten Schritte in dieser Richtung. Als Vorbereitung spielt diese Beziehung neben Leibniz' Äußerungen über das chinesische Denken eine zentrale Rolle. Seine doppeldeutige Stellung gegenüber dem östlichen Denken und die Reaktion der ostasiatischen Gelehrten auf seine Haltung und Philosophie sind die Vorbedingungen für ein fruchtbares Gespräch zwischen dem westlichen und östlichen Denken.

Die Trennung zwischen Vorbedingung und Anfang des Gespräches ist allerdings bei Heidegger nicht so einfach festzustellen wie bei Leibniz. Seine direkten und intensiven Kontakte mit ostasiatischen Intellektuellen, seine spärlichen, aber kontinuierlichen Erörterungen von ostasiatischen Ideen bilden eine wichtige Komponente der Vorbedingungen für den Anfang des Gespräches. Doch sind diese Kontakte und seine daraus folgenden Erörterungen zusammen mit der ostasiatischen Reaktion auf dieselben, bereits Teil des Gesprächs. Heideggers „Beziehung" mit dem ostasiatischen Denken teile ich dann in dieser Arbeit in zwei Momente: Als Vorbedingung für das Gespräch, wie eben in diesem Kapitel dargestellt wurde und als Anfang des Gespräches, wie dies noch im nächsten Kapitel zu zeigen sein wird.

 

2. Die verschiedenen Anfänge des Gespräches

Heideggers Aussage über das „unausweichliche Gespräch mit der ostasiatischen Welt" (Heidegger, 2000b, S.43) zeigt, dass für ihn das Gespräch zwischen westlichem und östlichem Denken noch kommen müsse. Das behauptete er im Jahre 1953, kurz bevor er mit dem japanischen Germanisten Tomio Tezuka ein Dialog führte, das als Grundlage für die Schrift Aus einem Gespräch von der Sprache diente. Weiter gab es keine relevante Äußerung über seine Beziehung zur ostasiatischen Welt mehr, die seine Idee des Gespräches als einer zukünftigen Angelegenheit ändern könnte. Seine intensiven Kontakte mit der östlichen Welt bezeichnete er selbst nicht als ein Gespräch, sondern als dessen Vorbereitung, die eine Auseinandersetzung mit dem Anfang des abendländischen Denkens voraussetze. Damit ist die Geschichte der deutschen Interpretation des ostasiatischen Denkens von Leibniz bis Jaspers zwar durchaus die Geschichte einer Beziehung, sie hat jedoch die Ebene des Gespräches noch nicht recht erreicht.

Erst mit der Begegnung zwischen dem ostasiatischen, vor allem dem chinesischen, und dem westlichen Denken in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts kann diese Beziehung als Gespräch betrachtet werden. Diese Begegnung involviert aber nicht nur chinesische, sondern auch koreanische und japanische Denker, da die wahre Forschungsarbeit zur chinesischen Klassik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts laut Tomoburo Imamichi nicht in China, sondern in anderen ostasiatischen Ländern wie Korea und Japan zu finden sei (Imamichi, 1985). Es ist wichtig zu bemerken, dass die intensive Beziehung zwischen Heideggers Denken und der Kyôto-Schule noch nicht zur Verwirklichung eines Gespräches führte. Eine fruchtbare Forschungsperspektive steht noch aus: Nishida-Tanabe und Heidegger.

Heidegger verstand das Gespräch mit dem Anfang der westlichen Philosophie als Vorbedingung für das zukünftige Gespräch mit dem ostasiatischen Denken; seine Perspektive vom Anfang eines Gespräches in Verbindung mit einer Auslegung der vorsokratischen Philosophie setzte sich jedoch nur teilweise durch. Heideggers Vorstellung der „Rückkehr" als Vorbedingung für das Gespräch deutet in die richtige Richtung, doch gibt es mehrere Anfänge, was auch verschiedene Formen der Rückkehr verlangt. Der Anfang des Gespräches ereignete sich nicht nur gemäß Heideggers Vorhersage, sondern auf verschiedenen anderen Ebenen.

Eine zweite Perspektive für die Entstehung des Gespräches eröffnet sich mit einer Rückkehr zum Anfang, aber nicht zum Anfang der europäischen Philosophie, wie Heidegger behauptet hatte, sondern einer Rückkehr zum Anfang der europäischen Interpretation des ostasiatischen Denkens, d.h. einer Rückkehr zu Leibniz' Beschäftigung mit China. Auch hier entsteht das Gespräch erst, als die ostasiatischen Denker nach Europa kommen und analysieren, was die europäischen Philosophen über das ostasiatische Denken schrieben und schreiben. Das Gespräch setzt damit eine Vorbereitung voraus, die nicht unbedingt ein Gespräch mit der griechischen Philosophie sein sollte, sondern ein Gespräch mit der europäisch-philosophischen Vorstellung und Auslegung der chinesischen Welt.

Eine wichtige Vorbedingung für die Entstehung des Gespräches zwischen westlichem und östlichem Denken ist die monumentale Forschungsarbeit von Joseph Needham, die ich hier als Verbindung zwischen den beiden Vorbereitungen darstelle. Needham gibt eine völlige Neuorientierung in der europäischen Auffassung vom chinesischen Denken, vor allem, wenn es um die Beziehung zwischen Sprache und Denken in China geht. Needhams umfangreiche Beschäftigung mit dem chinesischen Denken möchte ich jedoch nicht als einen Anfang des Gespräches bezeichnen, sondern als neuen Wendepunkt in der europäischen Interpretation. Seine Forschung über China bricht mit traditionellen Vorstellungen und Vorurteilen in verschiedenen Bereichen. Ich kommentiere hier aber nur bestimmte Punkte, die direkt in Verbindung mit Heideggers und Leibniz' Beschäftigung mit China stehen.

Um Heidegger und Leibniz bilden sich zwei Pole, die in verschiedenen Richtungen die Diskussion über die Beziehung zwischen dem westlichen und dem östlichen Denken bestimmen, was ich die Anfänge des Gespräches nennen möchte. Diese Beziehungen konfigurieren ein Gespräch, weil Europäer und Asiaten, besonders in den letzten dreißig Jahren, sich aus einer ebenbürtigen Situation vor allem in europäischen Sprachen, über Heideggers Vorstellung vom ostasiatischen Denken und Leibniz', Wolffs und Hegels Konzeption der chinesischen natürlichen Theologie auseinandersetzen.

 

3. Die Rückkehr zum Anfang des abendländischen Denkens

Die Vorstellung einer Offenheit zum Gespräch mit dem ostasiatischen Denken bei Heidegger hat als unmittelbaren Bezugspunkt das Gespräch mit der alten griechischen Philosophie, die Rückkehr zum Anfang, welche zum Mittelpunkt seines Denkens ab Ende der Dreißigerjahre wird und in seinem Text Was ist das - die Philosophie? (Heidegger, 1965) am deutlichsten erscheint. In diesem Text zeigt Heidegger die Notwendigkeit des Gespräches mit dem Anfang des abendländischen Denkens als Möglichkeit, den ontologischen Charakter der Sprache wiederzuerlangen, da in jener Zeit, als die Dinge zur Sprache kamen, sich in ihnen das Sein offenbart habe. Die Idee des Entbergens des Seins am Anfang des griechischen Denkens ist nach Heidegger mit der Tatsache verbunden, dass die Sprache als Logos den direkten Zugang zu den Dingen ermöglicht habe. (Heidegger, 1965, S. 44)

In dieser Hinsicht sind Heideggers Schriften, die von der Rückkehr zum Griechentum handeln, einheitlich und setzen die Diskussion über die Vergessenheit der Frage nach dem Sein fort, die in der Einleitung von Sein und Zeit erstmalig erörtert wird. Das vorsokratische Denken, vor allem das Parmenides', Anaximanders und Heraklits wird von Heidegger als ein der Philosophie vorhergehendes Geschehen betrachtet, d2a das Wort „Philosophie" erst später verwendet werde, und sein metaphysischer Zug sich erst ab Platon und Aristoteles entwickelte.

Auch die Namen wie «Logik», «Ethik», «Physik» kommen erst auf, sobald das ursprüngliche Denken zu Ende geht. Die Griechen haben in ihrer großen Zeit ohne Titel gedacht. Nicht einmal «Philosophie» nannten sie das Denken (Heidegger, 1969, S. 7).

Die Wiederkehr zum Anfang bedeutet die Wiederkehr zum der Philosophie vorhergehenden Moment. Die Wiederkehr zum Griechentum ist genau diese Wiederkehr, die den Weg zum Gespräch mit dem ostasiatischen Denken ebnet. Wenn Heidegger behauptet, die Philosophie sei ein abendländisches Ereignis, bezieht er sich nicht auf den Anfang, da sie als metaphysische Manifestation des Denkens noch nicht existierte. Die Wiederkehr zum Anfang als Gespräch mit den ursprünglichen Denkern sei eine Voraussetzung für das unvermeidliche Gespräch mit anderen Anfängen.

(…) wenn sie durch ein Gespräch mit den griechischen Denkern und deren Sprache ihre Wurzel in den Grund unseres geschichtlichen Daseins schlägt. Dieses Gespräch wartet auf seinen Beginn. Es ist kaum erst vorbereitet und bleibt selbst wieder für uns die Vorbedingung für das unausweichliche Gespräch mit der ostasiatischen Welt (Heidegger, 2000b, S. 43).

Der Anfang der Philosophie, der sich nicht chronologisch, sondern als originale Form der Manifestation des Denkens definieren lässt, ist kein ausschließlich abendländisches Phänomen. Dieses Phänomen kam auch in anderen Teilen der Welt, wie etwa in China mit dem Taoismus und dem Zen-Buddhismus, vor. So setzt nach Heidegger das Gespräch mit der ostasiatischen Welt notwendigerweise das Gespräch mit den ersten griechischen Denkern voraus und hat ihn als Bezugspunkt, zumal beide ursprüngliche Formen des Denkens seien. Die Frage nach dem Charakter des Gespräches mit dem östlichen Denken kann beantwortet werden, indem man an die Art und Weise des Gespräches herangeht, welchen Heidegger mit den ursprünglichen griechischen Denkern führe. Die Philosophie sei vor allem ein abendländisches Ereignis. Dennoch sei das ostasiatische Denken, insbesondere der Taoismus ebenso wie das griechische Gedankengut, vor der Philosophie entstanden.

Unter den Texten Heideggers, die von der Rückkehr zum Anfang des Denkens handeln, nehme ich vor allem Bezug auf seine Analyse des Fragments 50 von Heraklit in Vorträge und Aufsätze, aus welchem ich den folgenden Ausschnitt zitiere.

Seit dem Altertum wurde der Logos des Heraklit auf verschiedene Weise ausgelegt: als Ratio, als Verbum, als Weltgesetz, als das Logische und die Denknotwendigkeit, als der Sinn, als die Vernunft (Heidegger, 2000b, S. 208)

Für seine hermeneutische Analyse des griechischen Terminus Logos bezieht sich Heidegger auf die diversen Formen, in denen dieser Begriff seit der Antike ausgelegt wurde. Die Rückkehr zu dem, was Heraklit sagt, wird durch den Gespräch mit der griechischen Sprache möglich, welche per se auf die wahre Bedeutung von Logos weist. Ein möglicher Gespräch mit der östlichen Welt, insbesondere mit dem Taoismus, der für das ostasiatischen Denken das Pendant ist zu dem, was Heraklit für die westliche Philosophie sei, müsse mit der Frage nach dem Tao beginnen. Diese Frage erfordert eine einleitende Analyse verschiedener Interpretationen und Übersetzungen dieses Begriffes für das Abendland. Das Gespräch beginnt dann mit einer Analyse der Übersetzungen des Terminus Tao, welcher in die westlichen Sprachen als Ratio, Vernunft, Geist, Gott, Gesetz, Bahn, Sinn, Weg und andere Termini übersetzt worden ist, die nah an die Übersetzungen des Terminus Logos von Heraklit heranreichen.

Das Leitwort im dichtenden Denken des Laotse lautet Tao und bedeutet «eigentlich» Weg. Weil man jedoch den Weg leicht nur äußerlich vorstellt als die Verbindungstrecke zwischen zwei Orten, hat man in der Übereilung unser Wort «Weg» für ungeeignet befunden, das zu nennen, was Tao sagt. Man übersetzt Tao deshalb durch Vernunft, Geist, Raison, Sinn, Logos (Heidegger, 1997b, S.198).

Ein richtiges Gespräch ist erst möglich, wenn die ostasiatischen Denker in der Auseinandersetzung mit der abendländischen philosophischen Tradition sind. Voraussetzung für ein Gespräch ist ein Gleichgewicht der Kenntnisse auf beiden Seiten, die gleichzeitig offen sein sollten, um einander zu verstehen. Deswegen spielt die Bemühung von Heidegger, trotz seiner Unkenntnis der chinesischen Sprache, gemeinsam mit dem chinesischen Germanisten Hsiao das Tao Te King zu übersetzen, eine wichtigere Rolle, als bisher gesehen wurde. In dieser Hinsicht kann man sagen, dass die Zusammenarbeit mit Paul Hsiao keine zufällige oder unwichtige Beschäftigung für Heidegger war. Die ausgewählten Sprüche des Tao Te King, die übersetzt wurden, waren genau diejenigen, die einen direkten Bezug zum Begriff Tao hatten.

Heidegger kannte die klassischen deutschen Übersetzungen des Tao Te King, aber er übernimmt weder die Idee von Strauss, dass das Tao sich nicht übersetzen ließe, noch Wilhelms Übersetzung des Tao als Sinn. Keine von den beiden Möglichkeiten betrachtet Heidegger als geeignet. Im Begriff «Weg» fanden Heidegger und Hsiao die beste Lösung für das Problem der Übersetzung des chinesischen Zeichens Tao.

Vor allem mit Lao-tse und Tschuang-tse erreicht der „Begriff" Tao seine breiteste Bedeutung in der chinesischen Tradition und Heidegger entscheidet sich für das deutsche Wort Weg, das er für das dem chinesischen Zeichen Tao nächste hält. Diese Tatsache gibt einer möglichen Verbindung zwischen seiner Philosophie und dem chinesischen Denken einen Sinn, da der «Weg» ein zentraler Begriff in seiner späteren Philosophie werden wird.

Vielleicht verbirgt sich im Wort «Weg», Tao, das Geheimnis aller Geheimnisse des denkenden Sagens, falls wir diese Namen in ihr Ungesprochenes zurückkehren lassen und dieses Lassen vermögen. Vielleicht stammt auch noch und gerade die rätselhafte Gewalt der heutigen Herrschaft der Methode daher, daß die Methoden, unbeschadet ihrer Leistungskraft, doch nur die Abwässer sind eines großen verborgenes Stromes, des alles be-wëgenden, allem seine Bahn reißenden Weges. Alles ist Weg (Heidegger, 1997b, S. 198).

Die Rückkehr zum Anfang des abendländischen Denkens ist für Heidegger die Vorbereitung für ein Gespräch mit dem ostasiatischen Denken, aber seine Gesprächvorstellung steht noch in der westlichen Perspektive. Für die ostasiatischen Denker sind eher seine Überlegungen zur Überwindung der Metaphysik, zur modernen Technik und besonders seine Betrachtungen über das „Nichts" die wahren Anhaltspunkte für den Beginn des Gespräches. Für Heideggers ostasiatische Gesprächpartner gibt es einen anderen bemerkenswerten Beweggrund für die Entstehung des Gespräches, der auch nicht direkt für die Rückkehr zum Anfang des abendländischen Denkens steht, sondern der sich auf Heideggers Überlegungen zur ostasiatischen Welt bezieht. Ein gutes Beispiel dafür gibt Ryôsuke Ôhashi, (Ohashi, 1989, S. 129-139) wenn er Heideggers Kommentar über das Gleichnis von Tschuang-tse Die Freude der Fische analysiert. In diese Richtung weisen auch mehrere japanische und koreanische Kommentare über Heideggers Dialog Aus einem Gespräch von der Sprache, die der östlichen Perspektive wichtiger für den Beginn des Gespräches sind, als die Rückkehr zu Anaximander, Parmenides und Heraklit. Die Interpretationen von Heideggers Bemerkungen über das ostasiatische Denken, die von den ostasiatischen Gelehrten gegeben wurden, beinhalteten eine neue Perspektive der Diskussion über den Einfluss des ostasiatischen Denkens auf Heideggers Philosophie.

 

4. Zurück zur Frage nach dem Einfluss des ostasiatischen Denkens auf Heideggers Philosophie

Zum Schluss der Diskussion über Heideggers Auffassung der Rückkehr zum Anfang des abendländischen Denkens, als Vorbereitung für das Gespräch mit der ostasiatischen Welt, komme ich zurück zur Frage nach dem Einfluss des östlichen Denkens auf sein Werk. Diese Frage, die im letzten Kapitel schon teilweise betrachtet wurde, gilt für Reinhard May als noch nicht hinreichend behandelt, da sie bis heute von den Heidegger-Forschern vernachlässigt wurde. May legt starke Hinweise darauf vor, dass Heidegger nicht nur einen entscheidenden Einfluss aus dem asiatischen Denken bekommen habe, sondern auch, dass er, ohne jedes Zitieren, wörtlich zentrale Passagen aus chinesischen Texten, vor allem denen von Lao-tse und Tschuang-tse, durchaus als seine eigenen gebrauche. Mays Untersuchung gelangt denn auch zu dem Ergebnis,

dass Heideggers Werk in wesentlichen Teilen ostasiatisch beeinflußt ist. Darüber hinaus kann in Einzelfällen gezeigt werden, daß Heidegger sogar große Gedanken teilweise fast wörtlich aus deutschen Übersetzungen taoistischer und zen-buddhistischer Klassiker übernommen hat (May, 1989, S. 12).

Behauptungen wie die Mays, schienen eine Wende in der Diskussion über den Einfluss des ostasiatischen Denkens auf Heideggers Philosophie einzuleiten, aber seine Arbeit, seine Anhaltspunkte blieben bislang unerforscht; nach den Ergebnissen seiner Studie gibt es keine kontinuierlichen Recherchen über dieses Thema mehr, die seine Arbeit bestätigen oder widerlegen. Rolf Elberfeld behauptet, dass Mays Perspektive keine weiteren Folgen in der Diskussion über Heidegger und das ostasiatische Denken gezeitigt habe, doch stellt Elberfeld eine vergleichende Analyse von verschiedenen Ergebnissen einstweilen leider auch nicht zur Verfügung.

Die von Reinhard May vertretene These, Heidegger habe, ohne es ausdrücklich zu sagen, viele seiner Gedanken aus Ostasien bezogen (May 1989), hat sich bisher nicht allgemein durchgesetzt. Abgesehen von der Frage, inwieweit Heideggers Denken von Ostasien beeinflußt wurde, kann aber sicher gesagt werden, daß sein nachdrücklicher Verweis auf die Notwendigkeit eines Gespräches mit dem asiatischen Denken verschiedene Bemühungen in Gang gesetzt hat. (Elberfeld, 2003, S.472)

Warum sich die Thesen Mays nicht durchgesetzt haben, lässt sich schon deshalb nicht mit Sicherheit sagen, weil sie keine direkten Gegenargumente fanden, aber über den Grund dafür zu spekulieren, ist allemal ein interessanter Ausgangspunkt. Die Voraussetzungen für die systematische Analyse eines möglichen östlichen Einflusses auf Heideggers Denken werden nicht von vielen Heidegger-Forschern erfüllt, was die Diskussion fraglos stark begrenzt. Eine direkte Frage nach dem Einfluss ist, wie schon vorher behauptet wurde, nicht nur zweitrangig sondern sogar zurzeit eher als ein vergebliches Unternehmen zu bezeichnen. Eine Rekonstruktion des Mosaiks scheint unmöglich, da Heideggers Denken nicht nur eine Auseinandersetzung mit der ganzen Geschichte der westlichen Metaphysik ist, sondern auch im anfänglichen Gespräch mit dem ostasiatischen Denken steht. Das bedeutet aber nicht, dass die Frage unbeantwortet bleiben muss. Sie kann jedoch nur in der Ebene eines Gespräches geklärt werden.

Heideggers Schrift Aus einem Gespräch von der Sprache hat das Treffen mit Tonio Tezuka zur Grundlage. Letzterer hat auch in einem Aufsatz mit dem Titel Eine Stunde bei Heidegger (Tetzuka, 1989, S. 79-99) seine Version über dieses Treffen notiert. Mit seiner Darstellung zeigt Tezuka nicht nur einige Missverständnisse Heideggers über die japanische Welt auf, sondern auch neue Elemente des japanischen Denkens, die ebenfalls von einiger Bedeutung für den Ost-West-Dialog sind. Heideggers Interpretation ist ein wichtiger Schritt bei der Klärung der Frage nach dem Einfluss von Asien auf sein Denken, in dem er mit dem Gespräch eine klare Darstellung des Ost-West-Dialogs, aus seiner Perspektive, vorlegt. Nach Tezukas Bericht fragte Heidegger ihn vor allem nach dem Charakter der japanischen Sprache und Kunst. Über die japanische Kunst antwortet Tezuka ihm ganz allgemein, dass sie „Geistigkeit durch Sinnlichkeit erstrebt" (Tetzuka, 1989, S.89). Tezukas Bericht über Heideggers Reaktion auf seine Antwort lässt verstehen, dass die beiden Denker zu recht unterschiedlichen Auslegungen von wichtigen Themen des Gespräches kamen.

In Hinblick auf das oben von mir Gesagte machte Heidegger wieder einen Vorschlag für die Verwendung eines von ihm besonderes geschätzten Fachbegriffes. „Herr Tezuka, könnte man sagen, daß dieser sogenannte geistige Charakter metaphysischer Natur ist?" Nach kurzen Nachdenken stimme ich zu, währende ich vorausahnte, daß man wohl eine Erläuterung des japanischen Metaphysikverständnisses nachtragen müsse. Darüber geriet Heidegger in beste Laune und sagte dann: „Auch Platons Idee ist eine metaphysische Sache, die sinnlich vermittelt ist. Doch wird sie dort in zwei Schichten getrennt. Im Falle Japans habe ich das Gefühl, daß sie eher eine Einheit darstellt…" (Tetzuka, 1989, S. 89).

Nach Tezukas Bericht soll Heidegger den metaphysischen Charakter der japanischen Kunst erwähnt haben, was viel mehr Ähnlichkeiten zwischen den beiden Welten zeige, als Heideggers Frage nach dem Wesen der japanischen Sprache und seine Vermutung, dass ein Gespräch zwischen der europäischen und der ostasiatischen Welt beinahe unmöglich wäre. (Heidegger, 1987, S.90). Für Tezuka erkannte Heidegger eine Metaphysik in der japanischen Ästhetik und so scheint es, als ob für Heidegger die Metaphysik nicht nur auf die griechisch-europäische Welt beschränkt ist, sondern dass es auch eine ostasiatische Metaphysik geben könne. Tezuka sieht kein großes Hindernis für ein Gespräch zwischen den beiden Welten. Zu einem „Mangel" der japanischen Sprache für ästhetische Betrachtungen findet sich bei Tezuka keine Äußerung.

Wie bei der Arbeit an der Übersetzung des Tao Te King zwei fast entgegengesetzte Berichte von Hsiao und Heidegger überliefert sind, findet man zwei verschiedene Beschreibungen auch über das Treffen zwischen Tezuka und Heidegger. Tezukas Behauptung, dass Heidegger eine Metaphysik in Verbindung mit der japanischen Kunst einräumte, zeigt, dass für die japanische Perspektive die Annahme einer Metaphysik keine völlig fremde Möglichkeit ist, da Tezuka mit Heideggers Kommentar einverstanden war. Heidegger aber deutet in seinem Gespräch eher in Richtung auf eine fast unmögliche Kommunikation zwischen westlichem und östlichem Denken. Dafür hat May eine beachtenswerte Erklärung:

Das Gespräch mit Tezuka scheint für Heidegger vielfach eine willkommene Inspirationsquelle gewesen zu sein; dabei bot es natürlich auch einige Anknüpfungspunkte für mitunter typische Heidegger-Formulierungen. Das Ergebnis, sein „Gespräch" also, ist insoweit eine ungewöhnliche Präsentation des Heideggerschen Denkens (May, 1989, S. 27).

Dieser Kommentar zu Heideggers Gespräch geht genau in die Richtung einer Bemerkung von Rolf Elberfeld, der behauptet, dass Heidegger nur bestimmte Ideen von Lao Tse übernehme, die sein Denken erklärten.

Heidegger nimmt sich demnach genau die Stellen heraus, die seinem Gedanken ent-sprechen. Ihm geht es keineswegs um das, was Laozi eigentlich gesagt hat. Sein Verhältnis zu Laozi ist ein freies, ohne Anspruch auf Richtigkeit – zum Ärger der Philologen. (Elberfeld, 2000, S. 154).

Die beiden Zitate deuten darauf hin, dass Heidegger nicht unbedingt Einfluss vom ostasiatischen Denken bekommen hat, sogar wenn er von Passagen von östlichen Autoren Gebrauch macht. Für das Gespräch zwischen westlichem und ostasiatischem Denken ist diese Feststellung genauso wichtig wie das Umgekehrte. Die Behauptung, dass Heidegger ein ganz freies Verhältnis zum ostasiatischen Denken habe, geht in die Richtung eines Kontaktes ohne Einfluss. Wenn ein Kontakt keinen Einfluss hinterlässt, gilt für das Gespräch das Gleiche. Die Frage nach dem Einfluss ist nur wichtig, insofern sie Stoff für das Gespräch produziert, sonst bleibt sie im Bereich des Eurozentrismus. Das Wichtigste aber an dieser Frage ist die Reaktion der japanischen Denker auf Heideggers skeptische Betrachtung über ein Gespräch zwischen so verschiedenen Welten. Heideggers Gespräch ist eine Darstellung seines Denkens, die gleichzeitig eine entscheidende Wirkung auf das Gespräch mit dem ostasiatischen Denken ausübte.

Die Frage nach der Möglichkeit eines Gespräches steht direkt in Verbindung mit Heideggers Problematisierung der Übersetzbarkeit. Wenn er sagt, dass ein „Gespräch von Haus zu Haus beinahe unmöglich" bleibe, folgt daraus, dass auch die Möglichkeit einer Übersetzung seines Werkes ins Japanische in Frage gestellt wird. Heideggers „Provokationen" sind wichtiger für den West-Ost-Dialog als für die Diskussion über die Einflüsse des ostasiatischen Denkens auf seine Philosophie. In dieser Hinsicht betrachte ich den Aufsatz von Tadashi Ogawa Heideggers Übersetzbarkeit in ostasiatische Sprachen – Das Gespräch mit einem Japaner (Ogawa, 1989) als ein sehr geeignetes Beispiel für den Beginn des Gespräches.

Das Problem der Übersetzbarkeit ist von zentraler Bedeutung in Heideggers Philosophie, da er einen ganz eigenen Wortschatz entwickelte. Man kann fragen, ob es tatsächlich möglich ist, Heidegger ins Portugiesische, Spanische, Französische oder Englische zu übersetzen. Die Probleme der Übersetzbarkeit innerhalb des europäischen Sprachraums existieren zwar, aber sind beschränkt auf bestimmte Begriffe, und sie sind nicht ganz und gar unlösbar. Die Frage aber nach der Übersetzbarkeit des heideggerschen Denkens ins Chinesische oder Japanische nimmt eine ganz andere Dimension an, wenn man berücksichtigt, wie verschieden das Deutsche und die östlichen Sprachen sind. Heideggers Zweifeln an der Übersetzbarkeit seines Denkens, vor allem ins Japanische, äußert sich am deutlichsten in seinem Gespräch; und Ogawa nimmt Heideggers „Provokation" an.

Die Sprachdifferenz und die damit zusammenhängende Begriffsdifferenz wird hier für Heidegger zum Problem, weil für ihn alle philosophischen Begriffe europäische sind; Philosophie ist ein europäisches Ereignis. Wenn daher die Japaner glauben, mit Hilfe der Übersetzungen von philosophischen Begriffen aus dem Deutschen oder noch öfter aus dem durch das Deutsche vermittelten Griechischen die philosophischen Sachverhalte selbst zu denken, befinden sie sich in einem großen Irrtum (Ogawa, 1989, S.183).

Der Anfang des Gespräches setzt Klarheit über die problematischen Punkte voraus, das bemerkt Ogawa deutlich. Heideggers Konzeption der Philosophie und die mit ihr verbundenen Probleme der Übersetzbarkeit treibt Ogawas Reflexion an. Ihm ist klar, dass Heideggers Beschränkung der Philosophie auf die europäische Welt eine entscheidende Folge für ihre Übersetzbarkeit in eine nicht europäische Sprache darstellt. Wenn die Philosophie in der japanischen Tradition eine völlig fremde Disziplin ist, bedeutet die Übersetzungsarbeit ein radikales Wiedererschaffen aller philosophischen Begriffe, was die Aufgabe fast unmöglich macht.

In der Diskussion der Übersetzbarkeit der europäischen Philosophie, insbesondere der heideggerschen Philosophie, ins Japanische, nimmt Ogawa einen affirmativen Ausgangspunkt an. Seine optimistische Stellungnahme ist auf keinen Fall naiv, da er sie auf die europäische und japanische Auffassung vom Übersetzen stützt. Seine Bejahung der Übersetzbarkeit der Philosophie ins Japanische ist eigentlich eine Antwort auf Heideggers Zweifel an ihrer Möglichkeit. Von entscheidender Wichtigkeit für Ogawas Konklusion sei Heideggers Bemerkung über die japanische Sprache gewesen.

Heideggers Kritik betrifft die japanische Einstellung zur Sprache und zum philosophischen Begriff. Diese Einstellung tut so, als decke sich die japanisch-chinesische Sprache mit dem europäischen Sachbegriff und seine Bedeutung, und sie liest diese Bedeutung in die japanisch-chinesischen Ausrücke einfach hinein. Was macht diesen Irrtum, den Heidegger in der japanischen Sprach- und Begriffsauffassung findet, möglich? Wieso kann er in einem von dieser Auffassung geleiteten Übersetzen ein Verfälschen erblicken? (Ogawa, 1989, S.185).

Heideggers Skepsis über die Übersetzbarkeit der Philosophie ins Japanische solle aus dem „nominalistisch-funktionalen Sprachverständnis in der japanischen Kultur" entstehen, behauptet Ogawa (Ogawa, 1989, S.193). Mit seinem Versuch, die scharfe Kritik von Heidegger zu neutralisieren und damit das Übersetzen möglich zu machen, ohne Heideggers Philosophie dabei völlig abzulehnen, begibt er sich in das Gespräch mit der europäischen und der japanischen Auffassung von Sprache und den dementsprechenden Theorien über die Übersetzbarkeit. In seiner Analyse stellt Ogawa neue Elemente über die Geschichte der japanischen Sprache und seine Erfahrungen mit Übersetzungen dar. Ogawas Überlegungen zur Übersetzbarkeit und seine Schlussfolgerungen geben für mich das beste Beispiel für den Beginn des Gespräches. Er nimmt an, dass Heideggers Skepsis nicht unbegründet ist, aber er zeigt auch, dass Heideggers Behauptungen zu bestimmten unlösbaren Problemen führen. Die von Ogawa in seinem Aufsatz hervorgehobenen inhaltlichen Probleme erscheinen mir nicht relevant. Sie können aber als anfängliches Moment des Gespräches betrachtet werden und in dieser Hinsicht waren Heideggers Feststellungen über die Übersetzbarkeit seines Denkens ins Japanische die „Vorbedingung für das unausweichliche Gespräch mit der ostasiatischen Welt." (Heidegger, 2000b, S. 43)

Für die Fortsetzung des Gespräches ist die Rückkehr zum Anfang der abendländischen Philosophie nicht so wichtig wie eine grundlegende Auseinandersetzung mit der ostasiatischen Welt. Die europäische Seite des Gespräches, im Bereich von Phänomenologie und der heideggerschen Philosophie, muss eher eine neue Ebene des Verständnisses des ostasiatischen Denkens erreichen; das setzt unbedingt ein Gespräch über die chinesisch-japanische Sprache voraus, wie Pöggeler zutreffend bemerkt:

Damals sah Heidegger seine eigene Erörterung des Wesens der Sprache begrenzt durch die Unkenntnis der ostasiatischen Sprachen; so hoffte er auf ein künftiges west-östliches Gespräch, in dem sich die „einzige Quelle" für die unterschiedlichen großen Ströme der Sprachen melden könne. Nicht von ungefähr sprach Heidegger diese Hoffnung gegenüber einem japanischen Gast aus. Inzwischen ist es so weit gekommen, daß der Austausch zwischen deutschen und japanischen Philosophen keine Einbahnstrasse bleibt: auch jüngere deutsche Philosophen beherrschen die japanische Sprache und können deshalb ein wirkliches Gespräch führen. Das Gespräch mit China braucht seine Zeit (Pöggeler, 1999, S. 113-114)

Die Frage nach dem Einfluss des ostasiatischen Denkens auf Heideggers Philosophie verliert damit ihre Bedeutung als ein isoliertes Problem in der Philosophie; sie übernimmt jedoch eine wichtige Rolle als Ansatzpunkt für die Frage nach dem Gespräch zwischen westlichem und östlichem Denken. Die intensive Beziehung zwischen Heideggers Philosophie und dem ostasiatischen Denken kann als einen Abschluss der Vorbereitung für das Gespräch betracht werden. Heidegger und die japanischen Denker bilden für mich einen Pol als Anfang des Gespräches. Die Auseinandersetzung mit China formt andere Anfänge des Gespräches, der nicht in Verbindung mit Heidegger, sondern mit Leibniz steht. Diese neue Betrachtungsweise steht im Bezug auf einen anderen Anfang: Auf den Beginn der europäischen Interpretation des chinesischen Denkens.

Literaturliste

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Recebido em 05/09/2011
Aprovado em 27/08/2011

 

 

1 Siehe dazu der Aufsatz von Anz Wilhelm Die Stellung der Sprache bei Heidegger, in: Pöggeler, 1994, S. 305 – 319.See Heidegger, 1959a, "Hinweise", p. 269; GA, 1985, Vol. 12.
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„Das griechische Wort Philosophia geht auf das Wort Philosophos zurück (...) Das Wort Philosophos wurde vermutlich von Heraklit geprägt. Dies besagt: für Heraklit gibt es noch nicht die Philosophia" (Heidegger, 1965, S. 21).